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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0676
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656 Jenseits von Gut und Böse

der Anrufung des griechischen Komödiendichters Aristophanes (vgl. NK 46,
10-20) als eines Heiligen - so auch in N.s Brief an Köselitz vom 21. 08.1885
(KSB 7/KGB III/3, Nr. 624, S. 87, Z. 78) - wird die religiöse Tradition persifliert,
in Bedrängnis einen Nothelfer anzuflehen. Es spielt auf die beiden Komödien
Lysistrate (AvataTpärri) und Frauenvolksversammlung fExKÄricnäfovcrai) an: in
Lysistrate verweigern die griechischen Frauen ihren Männern den Geschlechts-
verkehr, um sie vom Kriegshandwerk abzubringen; in der Frauenvolksver-
sammlung übernehmen sie schließlich die politische Macht, um den Männern
ihren Willen aufzuzwingen.
Im fraglichen Brief an Köselitz heißt es: „Bitte, aus Bebel eine Stelle! er
citirt eine Engländerin (Elisab...) über die Dringlichkeit der geschlechtlichen
Bedürfnisse des Weibes. Bitte, schreiben Sie den Satz für mich ab! Er ist erbau-
lich“ (KSB 7/KGB III/3, Nr. 624, S. 86 f., Z. 75-77). Die von Köselitz in seiner
Antwort am 26. 08.1885 vorgeschlagenen Zitate von Elizabeth Blackwell in Be-
bels Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erkannte Köselitz
selbst schon als nicht einschlägig (KGB III/4, Nr. 292, S. 50, Z. 10-21), und N.
antwortete am 22. 09.1885: „Schönsten Dank für die Citate aus Bebel: obwohl
mein Gedächtniß eine Confusion gemacht zu haben scheint, — ich meinte eine
andere Seite des Buchs und ein andres ,weibliches4 Citat.“ (KSB 7/KGB III/3,
Nr. 630, S. 94, Z. 30-34) Übersehen hatte Köselitz bei seiner Durchsicht ein
weiteres Blackwell-Zitat, das passgenauer ist, auch wenn es nicht von Frauen,
sondern vom Menschen im Allgemeinen handelt (Bebel schreibt fälschlich
„Blackwall“ statt Blackwell): ,„Der Geschlechtstrieb existirt als eine unerlässli-
che Bedingung des Lebens und der Begründung der Gesellschaft. Er ist die
stärkste Kraft in der menschlichen Natur. Was immer auch verschwinde, dieser
besteht fort. Unentwickelt, kein Gegenstand der Gedanken, aber nichtsdesto-
weniger das Zentralfeuer des Lebens, ist dieser unvermeidliche Trieb
der natürliche Hüter vor jeder Möglichkeit der Vernichtung.“4 (Bebel 1883, 38)
KGB III/7/2, 107 teilt noch eine, allerdings von einem Mann, nämlich einem
gewissen „Dr. med. Hegerisch44 (gemeint ist Franz Hermann Hegewisch) her-
rührende Passage mit, die die verheerenden physiologischen Folgen ge-
schlechtlicher Enthaltsamkeit thematisiert. Mit dieser Passage könnte N. Black-
well kontaminiert haben. Gebraucht hätte N. das Zitat jedenfalls im Kontext
von JGB 232 zur Illustration des in 170, 29-171, 15 Gesagten: Die Frauen stellen
jetzt schon Forderungen an die Männer, von ihnen geschlechtlich befriedigt zu
werden - wollen ihnen also ihren Willen aufzwingen. Das aber gibt weder das
Blackwell- noch das Hegewisch-Zitat her; es handelt sich offensichtlich um
eine männliche Wunsch- oder Furchtprojektion.
171, 22-24 Wenn ein Weib damit nicht einen neuen Putz für sich sucht — ich
denke doch, das Sich-Putzen gehört zum Ewig-Weiblichen?] Dass das Sich-Put-
 
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