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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0721
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Stellenkommentar JGB 247, KSA 5, S. 190 701

Leser“ (KGW II 5, 280, 18-21). Gemäß N.s Vorlesung Darstellung der antiken
Rhetorik ist die griechische Prosa ein Echo der gesprochenen, der „lauten
Rede“ (KGW II 4, 425). Als die Griechen „eine Kunstprosa für Leser“ erfanden,
war „gerade der Leser nur der sublimirte Hörer, der besonders scharf
hörende, nichts überhörende, der langsam prüfende: vor seinen Ohren er-
klingt die Rede wirklich, es sind nicht nur Zeichen für Begriffe u. Belehrung:
also so wie jetzt ein Musiker eine Partitur liest: ihm schwebt der ganz modificir-
te Klang vor, er beurtheilt mitunter ein Werk beim Lesen feiner als beim wirkli-
chen Hören“ (KGW II 5, 280, 8-15). Man wird Renzi 1997a darin zustimmen,
dass Stellen wie die angeführten aus den Basler Vorlesungen mit ihrer Priori-
sierung des gesprochenen und gehörten Wortes vor dem gelesenen Wort tat-
sächlich JGB 247 den Takt vorgeben.
190, 19-24 Solche Perioden, wie sie bei Demosthenes, bei Cicero vorkommen,
zwei Mal schwellend und zwei Mal absinkend und Alles innerhalb Eines Athem-
zugs: das sind Genüsse für antike Menschen, welche die Tugend daran, das
Seltene und Schwierige im Vortrag einer solchen Periode, aus ihrer eignen Schu-
lung zu schätzen wussten] Sonderegger 1973,11 demonstriert, wie N. selbst sol-
che Perioden baut. Schon während seiner Basler Vorlesungstätigkeit hat sich
N. insbesondere für die Lehre an Pädagogium und Universität intensiv mit dem
athenischen Redner Demosthenes (384-322 v. Chr.) beschäftigt (vgl. z. B. KGW
II/4, 513-515), den er nach NL 1874, KSA 7, 32[4], 755, 28 offenbar mit dem
römischen Kollegen Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) gemeinsam zu be-
handeln gedachte. Stattdessen aber parallelisierte er in UB IV WB 9, KSA 1,
495, 20 f. Demosthenes mit Wagner - eine Einschätzung, die er in NL 1878,
KSA 8, 3O[15], 525, 1-3 partiell zu revozieren schien: „Da ich Wagner mit De-
mosthenes verglichen habe, muß ich auch den Gegensatz hervorheben.
Brougham bei Blass, 188, 196 — p. 173“. Die Notiz bezieht sich auf den Demos-
thenes-Band des monumentalen Werkes Die attische Beredsamkeit von N.s
Bonner Kommilitonen Friedrich Wilhelm Blass (1843-1907), wo unter Rückgriff
auf das Urteil von Lord Henry Peter Brougham Demosthenes „grosser Geist“,
aber kein „Genie“ attestiert wird (Blass 1877, 188), zudem aber auch Natürlich-
keit und Direktheit (vgl. ebd., 196-198), während ihm schon in der Antike die
Fähigkeit zugesprochen wurde, starke Affekte hervorzurufen (vgl. ebd., 173).
Eine Reihe weiterer Notate zu Demosthenes von 1878 nähren sich gleichfalls
aus N.s Blass-Lektüre (vgl. KGW IV 4, 467). Wenn MA II WS 110, KSA 2, 600,
2-9 bei der Erörterung von „Schreibstil und Sprechstil“ im Blick auf
die angebliche Notwendigkeit, beim Schreiben Ersatz zu finden „für Gebärden,
Accente, Töne, Blicke“, die dem Redner zu Gebote stehen, behauptet, Demos-
thenes habe seine Reden anders gehalten, „als wir sie lesen; er hat sie zum
Gelesenwerden erst überarbeitet“, wird freilich von Blass’ Vorlage abgewichen.
 
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