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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0726
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706 Jenseits von Gut und Böse

gen, unendlicher Bedeutungen, die ganze Romantik und Erhabenheit der mo-
ralischen Fragezeiehenrwürdigkeiten'' - und folglich ''gerade'' vielleicht den an-
ziehendsten rverfänglichsten und ausgesuchtesten Their Far- rjener Far^ben-
spiele und rVerführungen zum Leben'', in welchen [deren NachschimmerJ
heute der Himmel unsrer europäischen Cultur, ihr Abend-Himmel - glüht, und
r- vielleicht'' verglüht. Wir Artisten unter den Zuschauern und Philosophen
sind ''dafür'' ihnen rden Juden'' dankbar ''dafür'1. — Es war ein Gefühl jüdischer
Herkunft, das über den Tiefen des Schopenhauerschen Denkens gebreitet lag,
cs war ein gründlich jüdischer Fluch, den er einstmals gegen uns Immoralistcn
schleuderte-Er hat damit Unrecht: aber wir sind ihm dankbar dafür —“.
Gemeint ist Schopenhauers von N. gerne bemühtes, noch die Titelgebung von
AC inspirierendes Verdikt gegen denjenigen, „der die Welt der moralischen Be-
deutsamkeit entkleidet“ (NL 1885, KSA 11, 39[15], 626, 7f., entspricht KGW IX
2, N VII2,179, 22-24) aus den Parerga und Paralipomena (II 8: Zur Ethik. § 110):
„Daß die Welt bloß eine physische, keine moralische, Bedeutung habe, ist der
grösste, der verderblichste, der fundamentale Irrthum, die eigentliche Per-
versität der Gesinnung, und ist wohl im Grunde auch Das, was der Glaube
als den Antichrist personificirt hat“ (Schopenhauer 1873-1874, 6, 215. In N.s
Ausgabe mit Eselsohr markiert). Um das Judentum oder die jüdische Herkunft
des moralischen Universalismus von unerfüllbaren, erhabenen Forderungen
geht es bei Schopenhauer an dieser Stelle nicht; der Schlenker zu Schopenhau-
er bricht überdies das Allgemeinheits- und Erhabenheitsniveau, das KGW IX 5,
W18, 287, 2-24 sonst auszeichnet, und steigt in die Niederungen der Einzelfälle
hinab. Das könnte ein Mittel sein, den Allgemeinheits- und Erhabensheitsan-
spruch der jüdischen Moral zu konterkarieren, droht aber den Spannungsbo-
gen abbrechen zu lassen. Jedenfalls entschloss N. sich zur Streichung.
In seiner Antisemitischen Correspondenz publizierte Theodor Fritsch 1887
eine giftige Invektive gegen N.s angeblichen Philosemitismus (Der Antisemitis-
mus im Spiegel eines „Zukunfts-Philosophen“), bei der er JGB 250 zitiert und mit
den Worten einführt: „Dem Juden fehlt eben das beste Teil zum Menschen.
Was Wunder, wenn ein philosophischer Seicht-Fischer wie Herr Nietzsche, des-
sen Netz nicht zu den Perlen der Wahrheit auf den Grund hinabreicht, die Ver-
standes-Schaumblasen der modernen Erfolgs-Affen auffischte und die Goldfi-
sche der Schacher-Börse für das wahre Gold der tiefsten Weisheit hinnahm.
Was Wunder, meine ich, wenn solch ein Philosoph seinen Narren am Juden
fraß.“ (KGB III 7/3, 2, 942 f.) Auch N.s Mutter nahm Anstoß an diesen vermeint-
lich so judenfreundlichen Äußerungen ihres Sohnes und der öffentlichen Reak-
tion darauf, wie sie in ihrem Brief vom 05.12.1887 ihm gegenüber bekundete:
„Ob es richtig oder unrichtig ist, ich kann nichts Ungleiches über Dich hören,
es verdirbt mir auf Wochen das Leben und warum? Aendern kann ich es doch
 
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