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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0782
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762 Jenseits von Gut und Böse

ser von AC nicht erwartet (zum Thema N. und die Bibel vgl. z. B. Salaquarda
2000 u. Sommer 2008). Im Verein mit „Weisheit“ und „Verstand“ gehört
„Zucht“ (nach Luthers Übersetzung) übrigens zu den didaktischen Zielen der
Sprüche Salomonis (1, 6). Zum Vergleich mit 217, 28-218, 5 bietet sich AC TI an,
wo in äußerst sarkastischer Zuspitzung über die angebliche Entdeckung der
„heiligen Schrift“ berichtet wird - dort zwei alttestamentlichen Berichten fol-
gend, nämlich der Auffindung des Buches Deuterononium im Jerusalemer
Tempel unter König Josia im Jahre 621 v. Chr. und die Kundgabe der ganzen
Thora im Jahre 444 v. Chr. durch Esra (2. Könige 22 und 23 sowie Nehemia 8
bis 10) -, um die Erzeugung von religiöser Ehrfurcht bei den Menschen als
Machination zur priesterlichen Machtergreifung und -erweiterung zu diffamie-
ren. Vgl. NK KSA 6, 196, 7-13.
218,19-21 dass sich heut im Volke, im niedern Volke, namentlich unter Bauern,
immer noch mehr relative Vornehmheit des Geschmacks und Takt der Ehr-
furcht vorfindet] Vgl. NK 217, 26.
218, 21 f. bei der zeitunglesenden Halbwelt des Geistes, den Gebildeten] „Halb-
welt“ kommt bei N. lediglich hier vor; als „neues Wort“ bürgerte es sich zu
seiner Zeit als Übersetzung des französischen demi-monde ein (Grimm 1854-
1971, 10, 220). Alexandre Dumas fils hatte 1855 mit seiner Komödie Le Demi-
monde dem Ausdruck als Leitmetapher einer äußerlich eleganten, aber mora-
lisch anrüchigen Gesellschaftsschicht am Rande der Legalität große Populari-
tät verschafft; dem deutschen Pendant konnte N. etwa in der Einleitung des
Herausgebers Julius Frauenstädt zu Schopenhauers Sämmtlichen Werken be-
gegnen, der einen Schopenhauer-Kritiker zitierte, für den dessen Lehre „die
Lieblingsdoctrin einer philosophischen, literärischen [sic] und socialen Halb-
Welt und Halb-Bildung geworden“ sei (Schopenhauer 1873-1874, 1, CXXVI),
während es Eugen Dühring liebte, von der „Halbwelt der Socialdemokratie“
zu sprechen (Dühring 1882, 223, vgl. 200 u. 207 f.). Mit der Denunziation der
„Gebildeten“ als „zeitunglesende Halbwelt des Geistes“ wird nicht nur N.s alte
Polemik gegen den Journalismus fortgesetzt, sondern auch seine Wagner abge-
schauten Invektiven gegen die „Gebildetheit“ (dazu Sommer 2014f).
264.
Eine Vorarbeit zu diesem Abschnitt mit einigen Korrekturen findet sich in KGW
IX 5, W I 8, 271-272. Zu Beginn von JGB 264 notierte Karl Jaspers an den Rand
seines Handexemplars: „Problem der Rasse: Was die Vorfahren getan haben
(Vererbung erworbener Eigenschaften.)“ (Nietzsche 1923, 204). Der Abschnitt
buchstabiert eine zeitgemäße Variante des Lamarckismus aus (vgl. Schacht
 
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