Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0797
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar JGB 274, KSA 5, S. 227 777

der als Mittel oder als Verzögerung oder als zeitweiliges Ruhebett. Seine ihm
eigenthümliche hochgeartete Güte gegen Mitmenschen ist erst möglich,
wenn er auf seiner Höhe ist und herrscht. Die Ungeduld und das Gefühl, bis
dahin immer zur Komödie verurtheilt zu sein, verdirbt ihm jeden Umgang: die-
se Art Mensch kennt die Einsamkeit und was sie vom Giftigsten an sich hat.“
(Korrigiert nach KGW VII 4/2, 449).
227,10-13 Ein Mensch, der nach Grossem strebt, betrachtet Jedermann, dem er
auf seiner Bahn begegnet, entweder als Mittel oder als Verzögerung und Hemm-
niss — oder als zeitweiliges Ruhebett.] Wenn JGB 272 unter Anspielung auf die
„suum cuique“-Formel Kants Postulat universeller Pflichten aller Vernunftwe-
sen zugunsten partikularer Pflichten vornehmer Individuen preisgibt (vgl. NK
2T1, 4-8), so legt JGB 273 in antikantianischer Absicht nach, indem das Selbst-
zweckgebot des Kategorischen Imperativs (vgl. NK 110, 3-11 u. NK ÜK JGB 207
u. NK ÜK JGB 265) für große Menschen nicht länger gelten gelassen wird: Der
Vornehme bedient sich anderer Menschen als bloßer Mittel. Freilich bleibt in
JGB 273 durch die Verwendung des Indikativs in der Schwebe, ob hier einfach
ein historisches Faktum beschrieben wird - große Individuen wie Napoleon
haben sich anderer Menschen stets nur als Mittel bedient -, oder ob dies als
Handlungsanweisung an die Adresse von Vornehmheitsaspiranten zu verste-
hen ist. Man ist Letzteres zu vermuten geneigt. Die Behauptung, dass der nach
Großem strebende Mensch sich anderer Menschen als Mittel bedienen müsse,
lässt sich jedenfalls auch als Eingeständnis lesen, dass das alte Ideal philoso-
phischer Lebensform, nämlich das Ideal der Autarkie dann zum Scheitern ver-
urteilt ist, wenn Autarkie als Nichtangewiesen-Sein auf andere Menschen ver-
standen wird: Auch der Autarke bedarf anderer Menschen, würde aber seine
Souveränität oder Vornehmheit zu verlieren drohen, wenn er in anderen Men-
schen einen Selbstzweck sähe: Er geriete unter die Herrschaft einer fremden
Macht - und sei diese Macht auch nur eine universelle Pflicht zur Nicht-Instru-
mentalisierung. Da solche Fremdbestimmung mit der Vorstellung radikaler
Selbstbestimmung unvereinbar scheint, bleibt nur, die anderen Menschen für
seine Zwecke zu brauchen, wenn man schon nicht ganz ohne sie auskommt.
274.
Vorbereitende Notizen zu JGB 274 finden sich in KGW IX 2, N VII 2, 66, 2-28
sowie in KGW IX 5, W I 8, 233, 2-26. In W I 8 schließen sich unmittelbar daran
ursprünglich dazugehörige Vorarbeiten zum späteren Abschnitt JGB 295 an.

227, 24 f. „zum Ausbruch“, wie man sagen könnte] In KGW IX 2, N VII 2, 66, 7
ist dieser Halbsatz eine Einfügung; es fehlen noch die Anführungszeichen, die
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften