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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0802
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782 Jenseits von Gut und Böse

Situation Unterrichteter in unterschiedlicher Weise auslegen kann. In der
Druckfassung werden die in den Manuskriptversionen noch untergeordneten
Motive der Erholung und der Maske dominant (vgl. die „Ehrfurcht ,vor der Mas-
ke“4 in JGB 270, KSA 5, 226, 15 sowie NL 1884, KSA 11, 26[370], 248), während
ursprünglich der Schlussakzent auf dem Motiv des Gehen-Lassens lag. Vgl. zur
ausführlichen Interpretation von JGB 278 Schubert 2013, die herausarbeitet,
wie der angesprochene Wanderer - diese Ansprache ohne Anführungszei-
chen - zunächst mit zweifachem „ohne“ (229, 5) negativ, dann mit vierfachem
„mit“ 229, 5-10) anhand körperlicher Eigenschaften positiv bestimmt wird, wie
aber doch am Ende in der Replik - mit Anführungszeichen - keine Antwort
auf die Frage erfolgt, wer oder was er sei: Die Identität des Wanderers bleibt
(noch) unbestimmbar. Zur Interpretation siehe auch Braatz 1988, 263 u. Tonge-
ren 1989, 237.
Der kleine Dialog von JGB 278 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Identität,
die „Erholung“ (229, 13 f.) und die „Maske“ (229, 15 f.) des angesprochenen
Wanderers. Entsprechend gilt auch ihm meist die forschende Aufmerksamkeit
der Interpreten. Wie aber ist es um den Fragenden und fast exklusiven Spre-
cher selbst bestellt, dessen eigene Maske die Neugier (vgl. 229, 14) zu sein
scheint - worin liegt sein Interesse am „Wanderer“ (229, 3) begründet, dem er
„Erholung“ gewähren zu können verspricht? Der Ansprechende scheint beina-
he die Rolle zu spielen, die die Vorarbeiten dem Wanderer zuschreiben, näm-
lich die des Versuchers, der den Wandernden zum Innehalten bewegen will.
Was bezweckt er damit? Was verbirgt er hinter seiner vermeintlichen Hilfsbe-
reitschaft?

279.
229,18-21 Die Menschen der tiefen Traurigkeit verrathen sich, wenn sie glück-
lich sind: sie haben eine Art, das Glück zu fassen, wie als ob sie es erdrücken
und ersticken möchten, aus Eifersucht, — ach, sie wissen zu gut, dass es ihnen
davonläuft!] In KGW IX 2, N VII 2, 57, 2-8 findet sich das folgende, von N.
durchgestrichene Notat: „Das Glück fassen u. erdrosseln, erwürgen, ersticken
mit seiner Umarmung: - die Melancholie solcher Erlebnisse - es würde sonst
fliehen u entschlüpfen?“. Meta von Salis-Marschlins berichtete über ihren Be-
such bei N. in Sils während des Sommers 1887: „Seine grösste Lebenskunst war
der Zwang zur Fröhlichkeit; das hat ihn, ,den Menschen der tiefen Traurigkeit4,
am Leben erhalten und für seine Aufgabe reif gemacht.“ (KGB III 7/3, 1, 925)
Zur Interpretation von JGB 279 vgl. auch Grau 1984, 243 u. Stegmaier 2014, 197,
zu möglichen biographischen Bezügen Ebersbach 2004, 133.
 
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