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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0807
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Stellenkommentar JGB 283, KSA 5, S. 231 787

283.
In KGW IX 2, N VII 2, 70, 25-38 lautet eine von N. durchgestrichene Vorarbeit
zu JGB 283, die unvermittelt abbricht: „Ein artiger rAnlaß u. Anstoß-1 Anlaß,
um mißverstanden zu werden: ich habe mich gewöhnt, nur da zu loben, wo
ich nicht übereinstimme. Im anderen Falle nämlich - scheint es mir - hieße
es mich selber loben: etwas, das man, wie billig nur unter-44.
231, 7-10 Es ist eine feine und zugleich vornehme Selbstbeherrschung, gesetzt,
dass man überhaupt loben will, immer nur da zu loben, wo man nicht überein-
stimmt: — im andern Falle würde man ja sich selbst loben, was wider den guten
Geschmack geht] In seiner an den Redner adressierten, unter N.s Büchern er-
haltenen Abhandlung Wie man, ohne anzustoßen, sich selbst loben kann behan-
delte Plutarch ausführlich das Problem des Selbstlobes, das unter bestimmten
Bedingungen geboten erscheine, obwohl gelte: „erstlich halten wir Leute, die
sich selbst loben, für unverschämt, da sie schon dann sich schämen sollten,
wenn sie von Andern gelobt werden“ (Plutarch 1838,1670). Eine wichtige Stra-
tegie verdeckten Selbstlobes sei es nun, andere zu loben, die einem ähnlich
sind: „Da aber Dem, der sich selbst lobt, die Meisten feind und sehr aufsässig
sind, Dem hingegen, der Andere lobt, nicht auf gleiche Weise; indem man sich
vielmehr darüber freut und eifrig mit an dem Lobe Theil nimmt, so pflegen
Manche Diejenigen, die in Grundsätzen und Handlungen, wie überhaupt im
Charakter, ihnen ähnlich sind, zu rechter Zeit zu loben, um dadurch den Zuhö-
rer zu gewinnen und dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“ (ebd., 1679).
Einer solchen Lob- und Aufmerksamkeitsökonomie verweigert sich in JGB
283 derjenige, der offenbar zu vornehm ist, um selber des Lobes oder der Aner-
kennung seitens Unberufener zu bedürfen (vgl. Lehmann 1879, 58: „Das Lob
ist der Thoren Prob!“). Dass N. selbst undifferenziertes Lob lästig gefallen ist,
lässt sich etwa an seiner Reaktion auf Bruno Bauers Charakterisierung, er sei
ein ,,deutsche[r] Montaigne Pascal und Diderot“, ablesen: „Alles auf Ein Mal!
Wie wenig Feinheit ist in solchem Lobe, also: wie wenig Lob!“ (N. an Köse-
litz, 20. 03.1881, KSB 6/KGB III/l, Nr. 94, S. 73, Z. 35-37, vgl. NK 317, 28-318, 2.)
Die Kritik von JGB 283 ist bereits vorgeprägt in MA II WS 260, KSA 2, 665 u.
FW 190, KSA 3, 504. Das Problem besteht jeweils darin, dass sich der Lobende
den Gelobten gleich macht und so Differenz nivelliert. In Goethes Sprüchen in
Prosa heißt es: „Wen jemand lobt, dem stellt er sich gleich.“ (Goethe 1853-
1858, 3, 220; diese Parallelen weist Politycki 1989, 94, Fn. 156 nach.) Noch deut-
licher auf das Goethe-Zitat als JGB 283 bezieht sich FW 190: „Gegen die
Lobenden. - A.: ,Man wird nur von Seinesgleichen gelobt!4 B.: Ja! Und wer
dich lobt, sagt zu dir: du bist Meinesgleichen!4“ (KSA 3, 504, 5-7) Wer sich wie
das „Man“ in JGB 283 der landläufigen Logik des Lobens und Gelobtwerdens
 
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