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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0808
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788 Jenseits von Gut und Böse

entzieht, wird selbst wieder das Opfer von Missverständnissen, weil die andern
offensichtlich nicht zu erkennen im Stande sind, dass sich da jemand dieser
landläufigen Logik des Lobens und Gelobtwerdens entzogen hat (vgl. 231, 11-
20).
284.
In KGW IX 2, N VII 2, 54, 7-14 lautet eine von N. durchgestrichene Vorarbeit
zu JGB 284: „Mit einer ungeheuren u stolzen Gelassenheit rleben'': der Affekt
willkürlich, zur rechten Stunde, ein nützlicher Vordergrund, eine schwarze
Brille, damit man uns nicht in die Augen blicke.“ Eine weitere findet sich in
KGW IX 2, N VII 2, 71, 2-12: „Unsere vier Cardinal-Tugenden: Muth, Mitleid,
Einsicht u Einsamkeit — sie sind allesammt unerträglich, wenn sie sich nicht
rnoch'' mit einem spitzbübischen u. heiteren Laster verbrüdern, genannt: Höf-
lichkeit! Bringt es aber ein Mensch-“ (vgl. ähnlich NL 1885/86, KSA 12,
2[14], 74, 5-8, entspricht KGW IX 5, W I 8, 255, 32-36). Formal weicht JGB 284
deutlich von den Monologen und Dialogen, aber auch den kulturkritischen Re-
flexionen in der Nachbarschaft des Neunten Hauptstücks ab: Zwar wird hier
über „uns“ (231, 28 u. 232, 3) gesprochen - ohne dass dieses Wir einen Namen
bekäme -, aber die vermeintliche Beschreibung dieses Wir erfolgt in einer Rei-
hung von Infinitiven. Das verleiht dem ganzen Abschnitt einen appellativen,
einen adhortativen, ja einen imperativischen Charakter: Das Wir ist nicht ein-
fach so, sondern soll so sein. Doch wer ist es? Die Philosophen der Zukunft?
Die Vornehmen? Beide in Personalunion? Das Wir bleibt namenlos - so namen-
los wie die Adressaten des Textes. Zur Interpretation von JGB 284 vgl. z. B. auch
Steinmann 2000, 179f.; Venturelli 2003, 154 u. Zibis 2007, 121.
231, 22 Mit einer ungeheuren und stolzen Gelassenheit leben] Die Gelassenheit,
mit der N.s Spätwerk liebäugelt, soll spielerisch mit den Affekten umgehen
anstatt repressiv, wie es die bisherigen Propagandisten der Gelassenheit, bei-
spielsweise Stoiker, Christen oder Aufklärer, noch zu tun gezwungen gewesen
waren. Worauf sich Gelassenheit als Habitus allerdings gründet, wenn meta-
physische oder religiöse Sicherheiten entfallen, bleibt offen (vgl. Sommer
2014e, 37).
231, 23-25 Seine Affekte, sein Für und Wider willkürlich haben und nicht haben,
sich auf sie herablassen, für Stunden; sich auf sie setzen, wie auf Pferde, oft
wie auf Esel] Berühmter geworden ist die parallele Formulierung in GM III 12,
KSA 5, 364, 31-365, 1 über „das Vermögen, sein Für und Wider in der Ge-
walt zu haben und aus- und einzuhängen: so dass man sich gerade die
Verschiedenheit der Perspektiven und der Affekt-Interpretationen für die
 
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