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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0817
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Stellenkommentar JGB 289, KSA 5, S. 233-234 797

der Nicht-Festlegung, der Festlegungsverweigerung, kommt die Reflexionsbe-
wegung doch nie zum Stehen, so dass hinter keiner Maske das wahre Gesicht
zu sehen wäre, sondern hinter jeder Maske stets nur eine neue. Und jedes vom
Philosophen geäußerte Wort ist „auch eine Maske“ (234, 28). Dazu passt zu-
nächst die von N. durchgestrichene Notiz in KGW IX 2, N VII 2, 11, 2-10, die
ein emphatisches „Wir“ als philosophierende Bücher-Schreiber ins Szene setzt:
„Wie kann man nur glauben, daß jemals ein Philosoph seine eigentl. Meinun-
gen in Büchern ausgedrückt hätte? Wir schreiben Bücher, um zu verbergen,
das wir bei uns - bergen.“ Während diese Notiz jenen Interpreten als Steilvor-
lage dienen könnte, die N. eine esoterische, ungeschriebene oder zumindest
unpublizierte Lehre unterstellen, fällt beim Vergleich mit JGB 289 auf, dass
hier die Vorstellung, dass „ein Philosoph ,letzte und eigentliche4 Meinungen
überhaupt haben könne“ (234, 17f., vgl. dazu Dellinger 2012b, 317f. u. Del-
linger 2015, 48 f.), gerade suspendiert wird. Vgl. auch KGW IX 1, N VII 1, 26,
14-38.
233, 30-234, 4 Man hört den Schriften eines Einsiedlers immer auch Etwas von
dem Wiederhall der Oede, Etwas von dem Flüstertöne und dem scheuen Umsich-
blicken der Einsamkeit an; aus seinen stärksten Worten, aus seinem Schrei selbst
klingt noch eine neue und gefährlichere Art des Schweigens, Verschweigens her-
aus.] KGW IX 4, W I 6, 34, 16-21: „Man hört auch den Schriften eines Einsied-
lers etwas von dem Wiederhall rder Oede'' u. rdem etwas von dem'' Flüstertöne
ru. scheuem Erstaunen Umsichblicken'' der Einsamkeit an: raus'' seine stärks-
ten Worte raus seinem u Schreie seiber'1 klingt gleichsam noch wie etwas
Verschw reine neue u gefährlichere'' Art des Verschweigens rArt'' des Schwei-
gens, [Verschweigens) heraus.“ (Geglättet in NL 1885, KSA 11, 37[6], 580).
234, 5-9 Wer Jahraus, Jahrein und Tags und Nachts allein mit seiner Seele im
vertraulichen Zwiste und Zwiegespräche zusammengesessen hat, wer in seiner
Höhle — sie kann ein Labyrinth, aber auch ein Goldschacht sein — zum Höhlen-
bär oder Schatzgräber oder Schatzwächter und Drachen wurde] Dieselbe Meta-
phorik benutzte N. in unmittelbarer Nachbarschaft zu der in NK 233, 30-234, 4
mitgeteilten Aufzeichnung in KGW IX 4, W I 6, 35, 28-32 u. 34, 9-14, wo er sich
mit seinen eigenen Schriften auseinandersetzte (geglättet in NL 1885, KSA 11,
37[5], 579 f.). Die Selbstbezeichnung als „Höhlenbär“ kam N. seit der Wohnge-
meinschaft mit Franz Overbeck in der „Baumannshöhle“ am Schützengraben
45 in Basel leicht über die Lippen, so in seinen Briefen an Overbeck vom
30. 07.1874 (KSB 4/KGB II/3, Nr. 384, S. 253, Z. 69) und vom 06. 09.1881 (KSB
6/KGB III/l, Nr. 148, S. 128, Z. 7). Die Identität von „Schatzwächter“ und „Dra-
chen“ spielt auf den Riesen Fafner in Wagners Der Ring des Nibelungen an,
der, nachdem er seinen Bruder Fasolt erschlagen hat, zum Drachen wird und
den Nibelungenschatz bewacht.
 
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