BEILAGE ZU 2. VON DER FRAU DES AUSSATZIGEN
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schieden hat. Da die Frau nach I Kor 7,2 Unzucht zu vermeiden hat, dtirfe, ja müsse
sie sogar einen andern Mann heiraten. Anders als im Gutachten Bucers wird hier auf
den Einwand eingegangen, daß Jesus in Mt 19,6 scheinbar nur aufgrund von Ehe-
bruch - und nicht etwa wegen emer Krankheit, und sei sie auch unheilbar - die Ehe-
scheidung erlaubt. Capito und Hedio kontern mit einem Analogieschluß aus dem
Privilegium Pauhnum8 von I Kor 7,15: Wie dort die von ihrem ungläubigen Ehe-
mann verlassene gläubige Frau vom Eheband befreit ist und nun nach Ansicht des
Paulus wieder heiraten darf, so darf auch eine gesunde Frau wieder heiraten, der
Gott den Ehemann durch das Aufkommen von Lepra weggenommen hat. Wie im
Bucerschen Gutachten wird auf das Handeln der Obrigkeit, die die Aussätzigen
vom Rest der Gesellschaft nach eigener Gesetzgebung ohnehin absondert, als vom
Christen unbedingt zu respektierendes, indirektes Handeln Gottes hingewiesen.
Die Forderung des kanonischen Rechts, daß der gesunde Ehepartner die ehehche
Gememschaft mit dem an Lepra Erkrankten aufrechterhalte9 und lhm in die Isola-
tion folge, wird unter dem Hinweis abgelehnt, daß der Gesunde sich damit seiner
gesellschafthchen Verantwortung entzöge; die Bedürfmsse der Gemeinde haben
stets Vorrang vor den Wünschen des Individuums.
So erklären Capito und Hedio in klarem Gegensatz zur bisherigen kanomsch-
rechtlichen Tradition die Ehe eines unheilbar an Lepra Erkrankten für geschieden.
Gott selbst habe die Leprosenehe geschieden: einmal durch das Auftretenlassen der
Krankheit, zum andern durch die Verordnungen der welthchen Obrigkeit über die
Absonderung von Leprakranken, der Christen gehorchen müßten. Aufgrund von
I Kor 7,2 habe die bisherige Ehefrau des Leprakranken die Pflicht, erneut zu heira-
ten. Gemäßigt wird dieses für die damalige Zeit radikale Zugeständnis durch eine an
Bucer erinnernde, jedoch weniger vehemente Einschränkung des Adressatenkreises
auf die »Bekannten Christi, die Trost des Gewissens suchen«. Gemeinsam mit der
Schnft Bucers ist der völlige Verzicht auf die Heranziehung des römischen Rechts.10
Obwohl es hier eindeutig um zwei verschiedene Fälle geht, sprechen die zahlrei-
chen Gemeinsamkeiten dafür, daß sowohl das Gutachten Bucers als auch das vorlie-
gende um etwa dieselbe Zeit entstanden sind.
Der Edition liegt zugrunde: Straßburg StArch, AST 167 (Varia ecclesiastica II),
fol. 124r/v; zeitgenössische Abschrift von unbekannter Hand, die von der unbekann-
ten Hand auf fol. i2 5r-i26v(Nr. 2, S. 33-37) ebenfalls abweicht. Die Unterschriften
Capitos und Hedios sind nicht eigenhändig.
8. Vgl. TRE 9, S. 329,3-27.
9. Vgl. unten S. 41, Anm. 26.
10. In der Schrift zur Ehescheidung im Falle von Lepra, die er nach 1531 verfaßte (vgl. unten
Nr. 10, S. 133-137), geht Bucer viel ausführlicher auf das römische Recht ein (vgl. unten S. 136, 10-
137,4). Dies spricht für die frühe Datierung von Nr. 2 und deren Beilage.
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schieden hat. Da die Frau nach I Kor 7,2 Unzucht zu vermeiden hat, dtirfe, ja müsse
sie sogar einen andern Mann heiraten. Anders als im Gutachten Bucers wird hier auf
den Einwand eingegangen, daß Jesus in Mt 19,6 scheinbar nur aufgrund von Ehe-
bruch - und nicht etwa wegen emer Krankheit, und sei sie auch unheilbar - die Ehe-
scheidung erlaubt. Capito und Hedio kontern mit einem Analogieschluß aus dem
Privilegium Pauhnum8 von I Kor 7,15: Wie dort die von ihrem ungläubigen Ehe-
mann verlassene gläubige Frau vom Eheband befreit ist und nun nach Ansicht des
Paulus wieder heiraten darf, so darf auch eine gesunde Frau wieder heiraten, der
Gott den Ehemann durch das Aufkommen von Lepra weggenommen hat. Wie im
Bucerschen Gutachten wird auf das Handeln der Obrigkeit, die die Aussätzigen
vom Rest der Gesellschaft nach eigener Gesetzgebung ohnehin absondert, als vom
Christen unbedingt zu respektierendes, indirektes Handeln Gottes hingewiesen.
Die Forderung des kanonischen Rechts, daß der gesunde Ehepartner die ehehche
Gememschaft mit dem an Lepra Erkrankten aufrechterhalte9 und lhm in die Isola-
tion folge, wird unter dem Hinweis abgelehnt, daß der Gesunde sich damit seiner
gesellschafthchen Verantwortung entzöge; die Bedürfmsse der Gemeinde haben
stets Vorrang vor den Wünschen des Individuums.
So erklären Capito und Hedio in klarem Gegensatz zur bisherigen kanomsch-
rechtlichen Tradition die Ehe eines unheilbar an Lepra Erkrankten für geschieden.
Gott selbst habe die Leprosenehe geschieden: einmal durch das Auftretenlassen der
Krankheit, zum andern durch die Verordnungen der welthchen Obrigkeit über die
Absonderung von Leprakranken, der Christen gehorchen müßten. Aufgrund von
I Kor 7,2 habe die bisherige Ehefrau des Leprakranken die Pflicht, erneut zu heira-
ten. Gemäßigt wird dieses für die damalige Zeit radikale Zugeständnis durch eine an
Bucer erinnernde, jedoch weniger vehemente Einschränkung des Adressatenkreises
auf die »Bekannten Christi, die Trost des Gewissens suchen«. Gemeinsam mit der
Schnft Bucers ist der völlige Verzicht auf die Heranziehung des römischen Rechts.10
Obwohl es hier eindeutig um zwei verschiedene Fälle geht, sprechen die zahlrei-
chen Gemeinsamkeiten dafür, daß sowohl das Gutachten Bucers als auch das vorlie-
gende um etwa dieselbe Zeit entstanden sind.
Der Edition liegt zugrunde: Straßburg StArch, AST 167 (Varia ecclesiastica II),
fol. 124r/v; zeitgenössische Abschrift von unbekannter Hand, die von der unbekann-
ten Hand auf fol. i2 5r-i26v(Nr. 2, S. 33-37) ebenfalls abweicht. Die Unterschriften
Capitos und Hedios sind nicht eigenhändig.
8. Vgl. TRE 9, S. 329,3-27.
9. Vgl. unten S. 41, Anm. 26.
10. In der Schrift zur Ehescheidung im Falle von Lepra, die er nach 1531 verfaßte (vgl. unten
Nr. 10, S. 133-137), geht Bucer viel ausführlicher auf das römische Recht ein (vgl. unten S. 136, 10-
137,4). Dies spricht für die frühe Datierung von Nr. 2 und deren Beilage.