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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0064
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6 o

5. EHE, ABENDMAHL UND ANDERE FRAGEN

heimlicher Ehen. Die unter Punkt zwei angesprochene Notwendigkeit, dem Gesetz
Gottes absolute Priorität vor jeglicher anderen rechtlichen Ordnung zu geben, mag
von Bucer als Antwort auf eme Frage bezüglich der möglicherweise noch binden-
den Kraft altgläubiger eherechtlicher Bestimmungen geäußert worden sein.
Der dntte Punkt betrifft die Möglichkeit der Wiederverheiratung im Falle einer
lange andauernden Abwesenheit des Ehepartners. Bei unberechtigter Abwesenheit
gesteht Bucer der verlassenen Ehefrau das Recht zu, erneut zu heiraten, nachdem
»fromme und gottesfürchtige Männer« über ihren Fall geurteilt haben. Bei berech-
tigter Abwesenheit müsse so lange gewartet werden, wie eine Rückkehr wahr-
scheinlich ist; danach dürfe die verlassene Ehefrau nach vorausgegangenem Urteil
der »Ältesten« wieder heiraten, ohne daß ihr bisheriger Ehemann deshalb des bös-
willigen Verlassens (»desertio malitiosa«) zu bezichtigen sei. Genau dieses Vergehen
werde lhm aber zur Last gelegt werden, wenn es sich nach seiner etwaigen Rückkehr
herausstellen sollte, daß seine lange Abwesenheit unberechtigt war.
Im vierten Punkt gibt Bucer seinen Adressaten zunächst Recht, daß eine allein aus
Geldgier oder aus smnlicher Lust geschlossene Ehe »vom Teufel« sei. Sogleich
warnt er aber vor Mißverständnissen: Eine Ehe, in der das sexuelle Verlangen keine
Rolle spielt, hält Bucer für unmöglich. Niemand, der die Gabe der sexuellen Ent-
haltsamkeit nicht habe, könne von sexuellem Verlangen frei sein. Auch Paulus er-
laube die Eheschließung, um Unzucht zu vermeiden und nicht nur um Kinder m die
Welt zu setzen. Außerdem hält Bucer eine Heirat mit einer von lhren Eltern mit rei-
cher Mitgift ausgestatteten Frau keineswegs für verwerflich, solle doch die Frau eine
Gehilfm des Mannes sem. Ebenso sei es einer um die Ernährung ihrer Kinder be-
sorgten Frau erlaubt, auf das Vermögen ihres zukünftigen Mannes zu achten. Des-
halb solle man auf keinen Fall Eheschließungen vorschnell des Teufels nennen, bei
denen fmanzielle Überlegungen und sexuelle Attraktion eine Rolle spielten.
Der fünfte und somit letzte Punkt, der Ehefragen betrifft, befaßt sich mteres-
santerweise mit der Selbständigkeit, die einer wohlhabenden, durch eigene wirt-
schaftliche Tätigkeit Gewinn einbringenden Ehefrau gegenüber lhrem Ehemann
zu erlauben sei. Bucer ist bereit, einer solchen Frau einiges an Handlungsfreiheit
zuzugestehen, sei sie doch eine »materfamilias« und kein Dienstmädchen. Durch
eifriges Gebet und mit der Unterweisung des Heiligen Geistes werde eine solche
Frau leicht erkennen, was sie ohne Wissen ihres Mannes wagen dürfe. Eine genaue
Regel könne freilich aufgrund der großen Unterschiede zwischen den Umständen
einzelner Ehen nicht aufgestellt werden. Auf keinen Fall möchte Bucer etwas erlau-
ben, das dem biblischen Grundsatz widerspricht, daß Frauen lhren Ehemännern un-
tertan sein sollen.
Das Gutachten richtet sich an Sympathisanten der evangelischen Bewegung in ei-
nem Ort, der sich der Reformation noch nicht angeschlossen hat.11 Der konkreteste
Bezug des Schreibens auf ein identifizierbares historisches Ereigms lst Bucers zwei-

11. Augsburg oder Ulm, deren Verhältnisse Bucer sehr gut kannte, könnten hier m Frage kom-
men. Hilfreiche Hinweise auf die möglichen Adressaten und auf die vermuteten Entstehungsum-
stände dieser Schrift bot Dr. Andreas Gäumann.
 
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