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6. ERSTES GUTACHTEN FÜR DEN ULMER RAT
Am Schluß seines Gutachtens macht Roth die Ulmer Obrigkeit auf die rechtli-
chen Schwierigkeiten aufmerksam, die die Einrichtung eines selbständigen städti-
schen Ehegerichtes mit sich bringen könnte: Sollte eine Partei em Urteil nicht ak-
zeptieren, könnte sie an das Reichskammergericht28 appelheren; das Reichskam-
mergericht würde die Ulmer Eherechtsurteile, weil sie mcht auf dem kanonischen
Recht gründeten, sicher nicht anerkennen29. Um dem zuvorzukommen, müßten
sich alle Parteien vor der Verkündung eines Urteils verpflichten, so der Vorschlag
Roths, den Ulmer Rechtsspruch nicht anzufechten.30
Ende Juni 1531 kamen sowohl Hieronymus Roths Ratschlag als auch Bucers Gut-
achten erneut vor den Rat.31 Als signifikanteste Wirkung des Gutachtens Bucers
kann die Entscheidung des Rates gelten, als welthche Obngkeit die Ausübung der
Ehejudikatur fortan in Anspruch zu nehmen. Freilich war zunächst an kein beson-
deres Ehegericht gedacht, sondern nur an die Ausweitung des Aufgabenbereiches
des Stadtgerichtes.32 Bei ihren Beratungen nahmen die Ratsherren auch zu einzel-
nen, von Bucer und Roth aufgegriffenen Problemen Stellung33: Der Nichtigkeit von
heimlichen Eheschließungen wird zugestimmt, aber 1m Gegensatz zu Bucers Forde-
rung wird die Möglichkeit, das Eheversprechen abzusagen, vollkommen ausge-
schlossen. Die Wiederheirat von Ehepartnern, die verlassen worden smd, wird sehr
genau geregelt, wohl unter Berücksichtigung der gegen Bucer geäußerten Bedenken
Roths. Die von Bucer und Roth gebilligte Fülle von Scheidungsgründen wird radi-
kal eingeschränkt und die Scheidung nui' bei Ehebruch und böswilhgem Verlassen
erlaubt. In Einklang mit Bucers ausdrücklicher Forderung wird als Strafe des Ehe-
bruchs die Enthauptung bestimmt. Schheßhch wird der Vorschlag Roths befolgt,
das Recht der Appellation an das Reichskammergericht klug zu umgehen.
28. Das 1495 auf dem Wormser Reichstag errichtete Reichskammergericht war das oberste Beru-
fungsgencht für alle Stadt- und Landgenchte. Seit r 5 27 hatte es seinen Sitz in Speyer.
29. »... dweyl sollich Henndel bisher für gaistlich henndel gehalten worden vnnd solhch satzun-
gen, wie tch eben angetzaigt, wider das gaisthch Bäbstlich Recht furgenommen, gewißlich an dem
kayserlichen Chamergencht für nichtig vnnd vncrefftig Erkhennt wurden.« Ulm StArch, A [8983]
II, fol. 3267
30. Da das Appellationsrecht grundsätzhch unaufhebbar war, müßte dies durch eine besondere
juristische Konstruktion geschehen. Ausführhch hierzu vgl. Köhlcr, Zürcher Ehegericht II, S. 53;
Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531, S. 70.
31. Köhler, Zürcher Ehegericht II, S. 5 3 f.
32. So hatte man früher auch m Nürnberg die Eherechtsfragen behandelt. Das vorliegcnde Gut-
achten aber (vgl. unten S. 84,3, S. 86,4, S. 89,6 und S. 93,22 sowie die teilweise von Bucer entworfene
und am 6. August 1531 vom Rat erlassene Ulmer Kirchenordnung (vgl. BDS 4, S. 250,9; 267,15.19)
gehen eindeutig von der Einsetzung von Eherichtern aus. Erst am 27. Oktober 1533 wurde tatsäch-
hch ein aus vier Prädikanten und zwei Ratsmitghedern bestehendes, selbständiges Ehegericht ge-
schaffen, da das städtische Obergericht Ulms sich mcht mehr m der Lage sah, weiter Ehegencht zu
halten. Vgl. Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531, S.70; Köhler, Zürcher Ehegencht II, S. 52 —
33. Zum Folgenden vgl. Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531, S. 70; Köhler, Zürcher Ehe-
gericht II, S. 53 f.
6. ERSTES GUTACHTEN FÜR DEN ULMER RAT
Am Schluß seines Gutachtens macht Roth die Ulmer Obrigkeit auf die rechtli-
chen Schwierigkeiten aufmerksam, die die Einrichtung eines selbständigen städti-
schen Ehegerichtes mit sich bringen könnte: Sollte eine Partei em Urteil nicht ak-
zeptieren, könnte sie an das Reichskammergericht28 appelheren; das Reichskam-
mergericht würde die Ulmer Eherechtsurteile, weil sie mcht auf dem kanonischen
Recht gründeten, sicher nicht anerkennen29. Um dem zuvorzukommen, müßten
sich alle Parteien vor der Verkündung eines Urteils verpflichten, so der Vorschlag
Roths, den Ulmer Rechtsspruch nicht anzufechten.30
Ende Juni 1531 kamen sowohl Hieronymus Roths Ratschlag als auch Bucers Gut-
achten erneut vor den Rat.31 Als signifikanteste Wirkung des Gutachtens Bucers
kann die Entscheidung des Rates gelten, als welthche Obngkeit die Ausübung der
Ehejudikatur fortan in Anspruch zu nehmen. Freilich war zunächst an kein beson-
deres Ehegericht gedacht, sondern nur an die Ausweitung des Aufgabenbereiches
des Stadtgerichtes.32 Bei ihren Beratungen nahmen die Ratsherren auch zu einzel-
nen, von Bucer und Roth aufgegriffenen Problemen Stellung33: Der Nichtigkeit von
heimlichen Eheschließungen wird zugestimmt, aber 1m Gegensatz zu Bucers Forde-
rung wird die Möglichkeit, das Eheversprechen abzusagen, vollkommen ausge-
schlossen. Die Wiederheirat von Ehepartnern, die verlassen worden smd, wird sehr
genau geregelt, wohl unter Berücksichtigung der gegen Bucer geäußerten Bedenken
Roths. Die von Bucer und Roth gebilligte Fülle von Scheidungsgründen wird radi-
kal eingeschränkt und die Scheidung nui' bei Ehebruch und böswilhgem Verlassen
erlaubt. In Einklang mit Bucers ausdrücklicher Forderung wird als Strafe des Ehe-
bruchs die Enthauptung bestimmt. Schheßhch wird der Vorschlag Roths befolgt,
das Recht der Appellation an das Reichskammergericht klug zu umgehen.
28. Das 1495 auf dem Wormser Reichstag errichtete Reichskammergericht war das oberste Beru-
fungsgencht für alle Stadt- und Landgenchte. Seit r 5 27 hatte es seinen Sitz in Speyer.
29. »... dweyl sollich Henndel bisher für gaistlich henndel gehalten worden vnnd solhch satzun-
gen, wie tch eben angetzaigt, wider das gaisthch Bäbstlich Recht furgenommen, gewißlich an dem
kayserlichen Chamergencht für nichtig vnnd vncrefftig Erkhennt wurden.« Ulm StArch, A [8983]
II, fol. 3267
30. Da das Appellationsrecht grundsätzhch unaufhebbar war, müßte dies durch eine besondere
juristische Konstruktion geschehen. Ausführhch hierzu vgl. Köhlcr, Zürcher Ehegericht II, S. 53;
Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531, S. 70.
31. Köhler, Zürcher Ehegericht II, S. 5 3 f.
32. So hatte man früher auch m Nürnberg die Eherechtsfragen behandelt. Das vorliegcnde Gut-
achten aber (vgl. unten S. 84,3, S. 86,4, S. 89,6 und S. 93,22 sowie die teilweise von Bucer entworfene
und am 6. August 1531 vom Rat erlassene Ulmer Kirchenordnung (vgl. BDS 4, S. 250,9; 267,15.19)
gehen eindeutig von der Einsetzung von Eherichtern aus. Erst am 27. Oktober 1533 wurde tatsäch-
hch ein aus vier Prädikanten und zwei Ratsmitghedern bestehendes, selbständiges Ehegericht ge-
schaffen, da das städtische Obergericht Ulms sich mcht mehr m der Lage sah, weiter Ehegencht zu
halten. Vgl. Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531, S.70; Köhler, Zürcher Ehegencht II, S. 52 —
33. Zum Folgenden vgl. Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531, S. 70; Köhler, Zürcher Ehe-
gericht II, S. 53 f.