I I. GUTACHTEN FUR DEN BERNER RAT
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mit dem man Ehebruch begangen habe - wird in den verbleibenden vier Seiten be-
handelt [8r-<)v].
Obwohl sie zugeben, die erste Frage knapp und präzise beantworten zu können,
unternehmen cs die beiden Straßburger Theologen zunächst, die bestehende Berner
Ehegerichtsordnung21, die sie eigens zu diesem Zweck angefordert haben, einer
sorgfältigen und ausführlichen Analyse in Bezug auf die gestellten Fragen zu unter-
ziehen. Sie beziehen sich vor allem auf zwei der dortigen Bestimmungen [iv]:
t . Der schuldhaft Geschiedene müsse vor einer erneuten Heirat eine von den Ehe-
richtern nach eigenem Ermessen zu setzende Wartezeit von mindestens einem Jahr
einhalten.
2. Wer ohne Erlaubms des Ehegerichts trotzdem vorher heiratet, solle aus Stadt
und Landschaft ausgewiesen werden, könne jedoch vom Ehegericht nach Verbü-
ßung einer entsprechenden Strafe begnadigt werden.
Capito und Bucer loben die von der Berner Ehegerichtsordnung vorgesehene
harte Bestrafung des Ehebruchs und halten sie dem Wort Gottes, dem römischen
Recht und der Praxis der Alten Kirche konform [ar]. Zugleich machen sie lhre
Adressaten darauf aufmerksam, daß man bei der Anwendung eines Gesetzes vom
Buchstaben abweichen müsse, um der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers
treu zu bleiben. Die Berner Ehegerichtsordnung bilde hierin keine Ausnahme [2V].
Deshalb müsse zumindest theoretisch damit gerechnet werden, daß manche Men-
schen auch bei gutem Willen nicht in der Lage seien, die vom Berner Gesetz vorge-
sehene Mindestwartezeit von einem Jahr abzuwarten; sie werden durch diese Ver-
ordnung möglicheiweise zu Handlungen gezwungen, die der eigenen Sitthchkeit
und der der Gemeinschaft abträglich seien [3^]. Hierbei gehe es gar mcht m erster Li-
me um die Fähigkeit der Betroffenen, sexuell abstinent zu leben, sondern um die Lö-
sung von dringenden praktischen Problemen, wie die Ernährung und das Aufziehen
von Kindern sowie das Bestreiten des Lebensunterhalts: Aufgaben also, die sich
leichter mit einem Partner als ohne bewältigen lassen.
Wolle em Geschiedener vor Ablauf der Jahresfrist erneut heiraten, so müsse das
Berner Ehegericht dreierlei berücksichtigen [3'"]: 1. Es solle feststellen, ob die er-
neute Heirat dem Bedürfnis des Betroffenen, ein sittlich unanstößiges Leben zu füh-
ren, förderhch sei oder ob diesem auch ohne eine Wiederheirat entsprochen werden
könne. 2. Es solle überprüfen, ob die für die Wiederheirat getroffene Partneiwahl ei-
ner Besserung der sittlichen Lebensführung des Betroffenen tatsächlich dienlich sei
[41] 3. Es solle bei jeder Konzession der Wiederheirat unterhalb der Jahresfrist, um
den sittlichen Anstoß zu vermeiden, auch eine entsprechende Strafe verhängen. Es
folgen Überlegungen zur Notwendigkeit, Übertreter des Heiratsverbotes gebüh-
rend zu bestrafen, aber auch Mahnungen, Sorge dafür zu tragen, daß Menschen
guten Willens, die eine Frist von einem Jahr mcht einhalten können, mcht m die Ver-
suchung kommen, das Heiratsverbot zu mißachten. Die vom Gericht auferlegten
21. Hier geht es wohl umdie revidierte Ehegerichtsordnung von 1530. Vgl. Köhler, ZürcherEhe-
gericht I, S. 333.
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mit dem man Ehebruch begangen habe - wird in den verbleibenden vier Seiten be-
handelt [8r-<)v].
Obwohl sie zugeben, die erste Frage knapp und präzise beantworten zu können,
unternehmen cs die beiden Straßburger Theologen zunächst, die bestehende Berner
Ehegerichtsordnung21, die sie eigens zu diesem Zweck angefordert haben, einer
sorgfältigen und ausführlichen Analyse in Bezug auf die gestellten Fragen zu unter-
ziehen. Sie beziehen sich vor allem auf zwei der dortigen Bestimmungen [iv]:
t . Der schuldhaft Geschiedene müsse vor einer erneuten Heirat eine von den Ehe-
richtern nach eigenem Ermessen zu setzende Wartezeit von mindestens einem Jahr
einhalten.
2. Wer ohne Erlaubms des Ehegerichts trotzdem vorher heiratet, solle aus Stadt
und Landschaft ausgewiesen werden, könne jedoch vom Ehegericht nach Verbü-
ßung einer entsprechenden Strafe begnadigt werden.
Capito und Bucer loben die von der Berner Ehegerichtsordnung vorgesehene
harte Bestrafung des Ehebruchs und halten sie dem Wort Gottes, dem römischen
Recht und der Praxis der Alten Kirche konform [ar]. Zugleich machen sie lhre
Adressaten darauf aufmerksam, daß man bei der Anwendung eines Gesetzes vom
Buchstaben abweichen müsse, um der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers
treu zu bleiben. Die Berner Ehegerichtsordnung bilde hierin keine Ausnahme [2V].
Deshalb müsse zumindest theoretisch damit gerechnet werden, daß manche Men-
schen auch bei gutem Willen nicht in der Lage seien, die vom Berner Gesetz vorge-
sehene Mindestwartezeit von einem Jahr abzuwarten; sie werden durch diese Ver-
ordnung möglicheiweise zu Handlungen gezwungen, die der eigenen Sitthchkeit
und der der Gemeinschaft abträglich seien [3^]. Hierbei gehe es gar mcht m erster Li-
me um die Fähigkeit der Betroffenen, sexuell abstinent zu leben, sondern um die Lö-
sung von dringenden praktischen Problemen, wie die Ernährung und das Aufziehen
von Kindern sowie das Bestreiten des Lebensunterhalts: Aufgaben also, die sich
leichter mit einem Partner als ohne bewältigen lassen.
Wolle em Geschiedener vor Ablauf der Jahresfrist erneut heiraten, so müsse das
Berner Ehegericht dreierlei berücksichtigen [3'"]: 1. Es solle feststellen, ob die er-
neute Heirat dem Bedürfnis des Betroffenen, ein sittlich unanstößiges Leben zu füh-
ren, förderhch sei oder ob diesem auch ohne eine Wiederheirat entsprochen werden
könne. 2. Es solle überprüfen, ob die für die Wiederheirat getroffene Partneiwahl ei-
ner Besserung der sittlichen Lebensführung des Betroffenen tatsächlich dienlich sei
[41] 3. Es solle bei jeder Konzession der Wiederheirat unterhalb der Jahresfrist, um
den sittlichen Anstoß zu vermeiden, auch eine entsprechende Strafe verhängen. Es
folgen Überlegungen zur Notwendigkeit, Übertreter des Heiratsverbotes gebüh-
rend zu bestrafen, aber auch Mahnungen, Sorge dafür zu tragen, daß Menschen
guten Willens, die eine Frist von einem Jahr mcht einhalten können, mcht m die Ver-
suchung kommen, das Heiratsverbot zu mißachten. Die vom Gericht auferlegten
21. Hier geht es wohl umdie revidierte Ehegerichtsordnung von 1530. Vgl. Köhler, ZürcherEhe-
gericht I, S. 333.