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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0482
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14. EHESCHEIDUNG UND WIEDERHEIRAT NACH EHEBRUCH

In der folgenden Heiratsurkunde - die zugleich Züge eines Gutachtens zu Eheschei-
dung und Wiederheirat nach Ehebruch trägt - ringen sich Wolfgang Capito, Martin
Bucer, Kaspar Hedio und Matthäus Zell zu einem Urteil durch, das zu demselben
Zeitpunkt m jeder anderen evangelischen Stadt mit hoher Wahrscheinlichkeit nega-
tiv ausgefallen wäre.8 Daß der Antragsteller nach der Ablehnung semes Ansuchens
durch das Zürcher Ehegericht mit seiner Braut nach Straßburg übergesiedelt war,
legt die Vermutung nahe, daß er bei den dortigen Predigern eine wohlwollendere
Behandlung seines Falles erwartete.9

2. Inhalt
Der erste Abschnitt dieser Urkunde enthält eine Scbilderung des Falles durch die
Straßburger Prediger: Während einer längeren Abwesenheit seiner Frau Sabinella
Buchter habe der Antragsteller Beatus Gerung mit seiner Dienstmagd Agatha N.
aus Bern Ehebruch begangen [i6or], und diese sei m der Folge schwanger geworden.
Als Sabinella Buchter davon erfahren habe, habe sie vor dem Zürcher Ehegericht die
Ehescheidung wegen Ehebruchs beantragt. Diese wurde lhr schheßhch gewährt,
nicht aber bevor ihr Mann, die Eherichter und die Prädikanten sie energisch und
eindringlich gebeten hatten, Gerung aufgrund seines bisher tadellosen Lebenswan-
dels zu verzeihen und vom Scheidungsvorhaben abzurücken. Da eine Versöhnung
mit der Buchter wegen ihrer Intransigenz mcht mehr in Frage gekommen sei, habe
sich Gerung, der inzwischen in Straßburg wohne, an die Prediger vor Ort als die für
ihn zuständigen Seelsorger gewandt, mit der Bitte, seine zweite Ehe zu bestätigen
und zu segnen.10 Zwar gebe Gerung zu, daß es sich bei seiner Braut um dieselbe Per-
8. Freilich erkannten die Nürnberger Prädikanten schon lm März 1526 eine Eheschließung nach
Ehebruch an (vgl. AOG 2, Nr. 71, S. 303-306); in diesem Fall war jedoch die erste Frau des Betroffe-
nen schon vor der zweiten Eheschließung gestorben.
9. Schon im Falle Schnitzer (vgl. oben Nr. 10, S. 120-128 und AOG 4, Nr. 171, S. 409-413) hatte
der Ulmer Prediger Martin Frecht 1533 erwogen, den Ulmer Bürger Peter Schmtzer und seine
zweite Frau nach Straßburg zu schicken, um die Legitimierung lhrer Ehe zu erreichen: Angesichts
der mehrmaligen Verweigerungen des Ulmer Rates, die zweite Ehe Schmtzers anzuerkennen, soll-
ten dieser und seine Frau durch eine von den Straßburger Predigern durchgeführte kirchhche Ein-
segnung die m Ulm verweigerte Anerkennung nachholen. Vgl. Pollet II, S. 220,9—13 mit Anm. 3;
vgl. auch oben S. 123. Das Vorhaben Frechts und die tatsächhche Ubersiedlung Gerungs nach Straß-
burg vermitteln den Eindruck, daß Straßburg m den Augen der Zeitgenossen eine Art »eherecht-
liche Asylstätte« war und daß die großzügigen Ansichten der dortigen Prediger zu Ehescheidung
und Wiederheirat weit über die Grenzen der Reichsstadt hinaus bekannt waren.
10. Schon das gegenseitige Eheversprechen vor Zeugen (»Verlöbms«) begründete 1m ausgehen-
den Mittelalter eine gültige Ehe (vgl. van Dülmen I, S. 141 und 144; Ozment, When Fathers Ruled,
S.25); die öffentliche kirchliche Einsegnung der Ehe — worauf die Kirche schon seit dem 13. Jahr-
hundert drängte (vgl. DS 817) — verlieh der ehelichen Verbindung m den Augen dcr Zeitgenossen
ein höheres Maß an Legitimität. Eine zeitliche Verschiebung zwischen der Verehelichung 1m pnva-
ten Kreis und dem öffentlichen Kirchgang war jedoch mcht ungewöhnlich. So heß Zwingli seine
schon zwei Jahre zuvor geschlossene Ehe erst am 2. Apnl 1524 kirchlich einsegnen. Wolfgang Ca-
pito heiratete 1m engen Kreis am 22. Juh 1524, die kirchliche Einsegnung erfolgte aber erst am 1.
August 1524. Hierzu vgl. Buckwalter, Priesterehe, S. 30-34.
 
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