16. ANTWORT AUF DIE ZWEI CASUS
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mündlich versprochen hatte6, vor seinem Tod aber keine Gelegenheit hatte, die ehe-
liche Verbindung durch den öffentlichen Kirchgang7 und den Vollzug der ge-
schlechtlichen Gemeinschaft8 zu bestätigen.
Bei dem zweiten Fall waren die Verwandtschaftsverhältmsse viel entfernter und von
erheblich komplizierterer Natur. Ein gewisser Peter und eine gewisse Margareth be-
gehrten eine Ehe einzugehen, nachdem sie miteinander ein Kind gezeugt hatten.
Zwischen beiden bestand jedoch eine möglicherweise ehehindernde Verwandt-
schaftsbeziehung: Peter war der Enkelsohn eines gewissen Stephan oder Steffen Jäk-
kel9, und Margareth war die Urenkelin desselben. Daß der Vater des Bräutigams
und der Großvater der Braut von verschiedenen Müttern stammten (die Jäckel m
sukzessiven Ehen geheiratet hatte) und somit nur Halbbrüder waren, geht aus der
Darstellung des Falls hervor, wird aber nicht eigens hervorgehoben. Die Straß-
burger Prediger werden nun aufgefordert, darüber zu urteilen, ob ein Mann die
Tochter seines Vetters10 bzw. ob eine Frau den Sohn ihres Großonkels11 heiraten
dürfe.
Im Gegensatz zu ihrer Entscheidung im Falle des englischen Königs12 sprechen sich
die Straßburger Prediger bei der Auseinandersetzung mit dem ersten Fall zunächst
für die bleibende Gültigkeit des in Lev 18,16 enthaltenen Verbotes aus.13 Zwar habe
das mosaische Gesetz keine für Christen unbedingt bindende Wirkung, jedoch solle
man sich gerade über die in lhm ausgesprochenen Heiratsverbote nicht vorschnell
hinwegsetzen.14 Für die Gutachter noch entscheidender war freilich die Frage, ob
6. Schon das gegenwärtige Eheversprechen genügte freihch nach der Rechtsvorstellung des frü-
hen 16. Jahrhunderts, um eine vollgültige Ehe zu stiften. Dieser Grundsatz ging auf die Rechts-
schule des Petrus Lombardus zurück (vgl. DS 1327: »Causa efficiens matrimonn regulanter est mu-
tuus consensus per verba de praesenti expressus«), hatte aber auch Wurzeln 1m römischen Recht
(vgl. Dig. 50,17,30, ClCiv I, S.921). Vgl. auch oben S. 51-53.
7. Zur Bedeutung des Kirchgangs im frühen 16. Jahrhundert für die Bestätigung einer schon gül-
tigen Ehe vgl. oben S.478, Anm. 10.
8. Nach den Grundsätzen der Rechtsschule Gratians begründete erst der Beischlaf eine gültige
Ehe. Vgl. Decr. Grat. II, C.27, qu.2, Dictum Gratiani post c. 34: »Sed sciendum est, quod con-
mgium desponsatione mitiatur, conmixtione perficitur.« Die spätere Rechtsprechung der Kirche
gab den Prmzipien der Pariser Schule des Lombarden den Vorzug vor denjemgen der Bologneser
Schule Gratians. Vgl. oben S. 51 —53.
9. Zu diesem Namen vgl. unten S. 544, Anm. 12.
10. Für dieses Verwandtschaftsverhältms gibt es keine eigene Bezeichnung.
11. sc. den Sohn des Bruders ihres Großvaters. Für dieses Verwandtschaftsverhältnis gibt es
ebenfalls keine eigene Bezeichnung.
12. Vgl. oben S. 114,17h
13. Ein grundsätzlicher Unterschied zum Falle Heinrichs VIII. war sicherlich die Tatsache, daß
es den Straßburger Predigern 1531 großes Unbehagen bereitete, eine seit 22 Jahren bestehende und
mit dem Segen der Kirche geschlossene Ehe für ungültig zu erklären (vgl. oben S. 103 —109).
14. Im allgemeinen waren die Reformatoren bestrebt, die äußerst restriktiven Vorschriften des
kanonischen Rechts in Bezug auf die verbotenen Verwandtschaftsgrade durch die viel großzügige-
ren, in Lev 18 und im römischen Recht enthaltenen Bestimmungen zu ersetzen. Vgl. Dieterich, Das
protestantische Eherecht, S. 61 f. und 97-101; vgl. auch oben S. 88,10-89,6.
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mündlich versprochen hatte6, vor seinem Tod aber keine Gelegenheit hatte, die ehe-
liche Verbindung durch den öffentlichen Kirchgang7 und den Vollzug der ge-
schlechtlichen Gemeinschaft8 zu bestätigen.
Bei dem zweiten Fall waren die Verwandtschaftsverhältmsse viel entfernter und von
erheblich komplizierterer Natur. Ein gewisser Peter und eine gewisse Margareth be-
gehrten eine Ehe einzugehen, nachdem sie miteinander ein Kind gezeugt hatten.
Zwischen beiden bestand jedoch eine möglicherweise ehehindernde Verwandt-
schaftsbeziehung: Peter war der Enkelsohn eines gewissen Stephan oder Steffen Jäk-
kel9, und Margareth war die Urenkelin desselben. Daß der Vater des Bräutigams
und der Großvater der Braut von verschiedenen Müttern stammten (die Jäckel m
sukzessiven Ehen geheiratet hatte) und somit nur Halbbrüder waren, geht aus der
Darstellung des Falls hervor, wird aber nicht eigens hervorgehoben. Die Straß-
burger Prediger werden nun aufgefordert, darüber zu urteilen, ob ein Mann die
Tochter seines Vetters10 bzw. ob eine Frau den Sohn ihres Großonkels11 heiraten
dürfe.
Im Gegensatz zu ihrer Entscheidung im Falle des englischen Königs12 sprechen sich
die Straßburger Prediger bei der Auseinandersetzung mit dem ersten Fall zunächst
für die bleibende Gültigkeit des in Lev 18,16 enthaltenen Verbotes aus.13 Zwar habe
das mosaische Gesetz keine für Christen unbedingt bindende Wirkung, jedoch solle
man sich gerade über die in lhm ausgesprochenen Heiratsverbote nicht vorschnell
hinwegsetzen.14 Für die Gutachter noch entscheidender war freilich die Frage, ob
6. Schon das gegenwärtige Eheversprechen genügte freihch nach der Rechtsvorstellung des frü-
hen 16. Jahrhunderts, um eine vollgültige Ehe zu stiften. Dieser Grundsatz ging auf die Rechts-
schule des Petrus Lombardus zurück (vgl. DS 1327: »Causa efficiens matrimonn regulanter est mu-
tuus consensus per verba de praesenti expressus«), hatte aber auch Wurzeln 1m römischen Recht
(vgl. Dig. 50,17,30, ClCiv I, S.921). Vgl. auch oben S. 51-53.
7. Zur Bedeutung des Kirchgangs im frühen 16. Jahrhundert für die Bestätigung einer schon gül-
tigen Ehe vgl. oben S.478, Anm. 10.
8. Nach den Grundsätzen der Rechtsschule Gratians begründete erst der Beischlaf eine gültige
Ehe. Vgl. Decr. Grat. II, C.27, qu.2, Dictum Gratiani post c. 34: »Sed sciendum est, quod con-
mgium desponsatione mitiatur, conmixtione perficitur.« Die spätere Rechtsprechung der Kirche
gab den Prmzipien der Pariser Schule des Lombarden den Vorzug vor denjemgen der Bologneser
Schule Gratians. Vgl. oben S. 51 —53.
9. Zu diesem Namen vgl. unten S. 544, Anm. 12.
10. Für dieses Verwandtschaftsverhältms gibt es keine eigene Bezeichnung.
11. sc. den Sohn des Bruders ihres Großvaters. Für dieses Verwandtschaftsverhältnis gibt es
ebenfalls keine eigene Bezeichnung.
12. Vgl. oben S. 114,17h
13. Ein grundsätzlicher Unterschied zum Falle Heinrichs VIII. war sicherlich die Tatsache, daß
es den Straßburger Predigern 1531 großes Unbehagen bereitete, eine seit 22 Jahren bestehende und
mit dem Segen der Kirche geschlossene Ehe für ungültig zu erklären (vgl. oben S. 103 —109).
14. Im allgemeinen waren die Reformatoren bestrebt, die äußerst restriktiven Vorschriften des
kanonischen Rechts in Bezug auf die verbotenen Verwandtschaftsgrade durch die viel großzügige-
ren, in Lev 18 und im römischen Recht enthaltenen Bestimmungen zu ersetzen. Vgl. Dieterich, Das
protestantische Eherecht, S. 61 f. und 97-101; vgl. auch oben S. 88,10-89,6.