Einleitung
können lediglich bruchstückhaft aus den Ratsprotokollen erschlossen werden.148 Raubers Vorschlag, den
Abendmahlsempfang von der vorherigen Beichte abhängig zu machen, also das Recht des Pfarrers, über die
Zulassung zum Abendmahl zu entscheiden, lehnte der Rat ab. Er verfügte stattdessen vier Abendmahls-
sonntage, denen samstägliche Vorbereitungsgottesdienste vorausgehen sollten.149 Mit dieser Änderung
wurde die Kirchenordnung vom kleinen Rat gebilligt und in Geltung gesetzt.
Die Rückkehr Esslingens zu einem eindeutig protestantischen Kirchenwesen erfolgte erst lange nach
1552, dem offiziellen Ende des Augsburger Interims. So wurden die Geistlichen bei ihrer Anstellung noch bis
1560 auf das Interim verpflichtet.150 1563 drängte Wiirttemberg auf eine Entscheidung, und der Esslinger
Pfarrer Georg Kuhn stellte dem Rat, gestützt auf die Zünfte, mehrere Ultimaten zur Abschaffung des
Interims. Er forderte schließlich eine Bürgerbefragung.151 Diese wurde jedoch nicht durchgeführt und Georg
Kuhn musste für die Unruhe, die er mit seinen vehementen Forderungen unter den Geistlichen verbreitet
hatte, schließlich die Entlassung aus dem Pfarramt hinnehmen.152
Wichtig für den Fortgang der Esslinger Religionspolitik war, dass sich Jakob Andreä, Kanzler der
1567/68 nach Esslingen verlegten Tübinger Universität153 und Verfasser der Konkordienformel, in der Stadt
aufhielt und vom Rat auf die vakante Pfarrstelle gesetzt wurde.154 Als Anhänger der Wittenberger Theo-
logie vermittelte er den Esslinger Biirgern in seinen Predigten die Hauptpunkte der lutherischen
Lehre.155 Erst Ende der 1560er Jahre entschied sich der Esslinger Rat schließlich zur Wiederaufrichtung des
protestantischen Kirchenwesen, und 1577 konnte auf württembergischen Druck mit Unterzeichnung der
Konkordienformel156 die Hinwendung der Reichsstadt zum Luthertum erreicht werden.157 Der Rat übertrug
den Religionsherren158 sowie einem Mesner sämtliche Aufgaben, die die Verbindung der Kirchenpfleger zu
den Geistlichen betrafen. Der Mesner wurde vom Rat angestellt, besoldet und zu Gehorsam den Kirchen-
pflegern und dem Superintendenten gegenüber verpflichtet.159
Die letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts waren in Esslingen geprägt vom weiteren Ausbau des
Kirchenwesens. Der Rat nahm die Kirchenhoheit immer exklusiver wahr und verrechtlichte und bürokra-
tisierte das Kirchenwesen weiter. Dies zeigte sich etwa in den Visitationen, die seit 1565 regelmäßig statt-
fanden. Seit 1595 sind die ersten Visitationsberichte erhalten.160
33. Kanzelverkündung zur Eheschließung unter Verwandten 8. April 1554 (Text S. 404)
Vor dem Hintergrund, dass auch die städtische Gesellschaft in der frühen Neuzeit nur wenig freizügig war,
die Menschen also in der Regel Zeit ihres Lebens an demselben Ort wohnten, waren Eheschließungen unter
148 StadtA Esslingen, Reichsstadt, RP 1552/53, fol. 152-
154, vgl. Schröder, Kirchenregiment, S. 145 und Anm.
101 sowie S. 304.
149 Schröder, Kirchenregiment, S. 145.
150 Vgl. das Anstellungsformular für Geistliche von 1563,
StaatsA Ludwigsburg B 169, Bü 34.
151 Vgl. den Entwurf einer diesbezüglichen Bekanntma-
chung des Esslinger Rates von 1563/64 in StadtA Esslin-
gen, Reichsstadt, RP 1563/64 Bl. 197-199. Abgedruckt
bei Rau, Obrigkeit, S. 215-218.
152 Rau, Obrigkeit, S. 218f.
153 In Tübingen herrschte die Pest und Herzog Christoph
von Württemberg beschloss gemeinsam mit dem Esslin-
ger Rat die Verlegung der Hochschule in die Reichsstadt,
vgl. Bernhardt, Esslingen und die Universität.
154 StadtA Esslingen, Reichsstadt, F. 339; vgl. Haffner,
Universität, S. 56-59; Borst, Geschichte der Stadt,
S. 234.
155 Schild, Religionen, S. 125f.
156 StadtA Esslingen, Reichsstadt, F. 207, Nr. 36 und
Nr. 37.
157 Borst, Geschichte der Stadt, S. 234; Schröder, Kir-
chenregiment, S. 159.
158 Die Religionsherren bildeten die 1564 neu eingerichtete
kirchliche Mittelbehörde, bestehend aus zwei Richtern
und einem Geheimen Rat. Sie sollte zusammen mit den
Kastenpflegern zwischen dem Rat und dem Ministerium
vermitteln, vgl. Schröder, Kirchenregiment, S. 154.
159 Naujoks, Obrigkeitsgedanke, S. 177 unter Verweis auf
StadtA Esslingen, Reichsstadt, RP vom 19. Juli 1569
sowie F 207, Nr. 24a, „Mesnereid“ von 1569.
160 Schröder, Kirchenregiment, S. 281-285.
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können lediglich bruchstückhaft aus den Ratsprotokollen erschlossen werden.148 Raubers Vorschlag, den
Abendmahlsempfang von der vorherigen Beichte abhängig zu machen, also das Recht des Pfarrers, über die
Zulassung zum Abendmahl zu entscheiden, lehnte der Rat ab. Er verfügte stattdessen vier Abendmahls-
sonntage, denen samstägliche Vorbereitungsgottesdienste vorausgehen sollten.149 Mit dieser Änderung
wurde die Kirchenordnung vom kleinen Rat gebilligt und in Geltung gesetzt.
Die Rückkehr Esslingens zu einem eindeutig protestantischen Kirchenwesen erfolgte erst lange nach
1552, dem offiziellen Ende des Augsburger Interims. So wurden die Geistlichen bei ihrer Anstellung noch bis
1560 auf das Interim verpflichtet.150 1563 drängte Wiirttemberg auf eine Entscheidung, und der Esslinger
Pfarrer Georg Kuhn stellte dem Rat, gestützt auf die Zünfte, mehrere Ultimaten zur Abschaffung des
Interims. Er forderte schließlich eine Bürgerbefragung.151 Diese wurde jedoch nicht durchgeführt und Georg
Kuhn musste für die Unruhe, die er mit seinen vehementen Forderungen unter den Geistlichen verbreitet
hatte, schließlich die Entlassung aus dem Pfarramt hinnehmen.152
Wichtig für den Fortgang der Esslinger Religionspolitik war, dass sich Jakob Andreä, Kanzler der
1567/68 nach Esslingen verlegten Tübinger Universität153 und Verfasser der Konkordienformel, in der Stadt
aufhielt und vom Rat auf die vakante Pfarrstelle gesetzt wurde.154 Als Anhänger der Wittenberger Theo-
logie vermittelte er den Esslinger Biirgern in seinen Predigten die Hauptpunkte der lutherischen
Lehre.155 Erst Ende der 1560er Jahre entschied sich der Esslinger Rat schließlich zur Wiederaufrichtung des
protestantischen Kirchenwesen, und 1577 konnte auf württembergischen Druck mit Unterzeichnung der
Konkordienformel156 die Hinwendung der Reichsstadt zum Luthertum erreicht werden.157 Der Rat übertrug
den Religionsherren158 sowie einem Mesner sämtliche Aufgaben, die die Verbindung der Kirchenpfleger zu
den Geistlichen betrafen. Der Mesner wurde vom Rat angestellt, besoldet und zu Gehorsam den Kirchen-
pflegern und dem Superintendenten gegenüber verpflichtet.159
Die letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts waren in Esslingen geprägt vom weiteren Ausbau des
Kirchenwesens. Der Rat nahm die Kirchenhoheit immer exklusiver wahr und verrechtlichte und bürokra-
tisierte das Kirchenwesen weiter. Dies zeigte sich etwa in den Visitationen, die seit 1565 regelmäßig statt-
fanden. Seit 1595 sind die ersten Visitationsberichte erhalten.160
33. Kanzelverkündung zur Eheschließung unter Verwandten 8. April 1554 (Text S. 404)
Vor dem Hintergrund, dass auch die städtische Gesellschaft in der frühen Neuzeit nur wenig freizügig war,
die Menschen also in der Regel Zeit ihres Lebens an demselben Ort wohnten, waren Eheschließungen unter
148 StadtA Esslingen, Reichsstadt, RP 1552/53, fol. 152-
154, vgl. Schröder, Kirchenregiment, S. 145 und Anm.
101 sowie S. 304.
149 Schröder, Kirchenregiment, S. 145.
150 Vgl. das Anstellungsformular für Geistliche von 1563,
StaatsA Ludwigsburg B 169, Bü 34.
151 Vgl. den Entwurf einer diesbezüglichen Bekanntma-
chung des Esslinger Rates von 1563/64 in StadtA Esslin-
gen, Reichsstadt, RP 1563/64 Bl. 197-199. Abgedruckt
bei Rau, Obrigkeit, S. 215-218.
152 Rau, Obrigkeit, S. 218f.
153 In Tübingen herrschte die Pest und Herzog Christoph
von Württemberg beschloss gemeinsam mit dem Esslin-
ger Rat die Verlegung der Hochschule in die Reichsstadt,
vgl. Bernhardt, Esslingen und die Universität.
154 StadtA Esslingen, Reichsstadt, F. 339; vgl. Haffner,
Universität, S. 56-59; Borst, Geschichte der Stadt,
S. 234.
155 Schild, Religionen, S. 125f.
156 StadtA Esslingen, Reichsstadt, F. 207, Nr. 36 und
Nr. 37.
157 Borst, Geschichte der Stadt, S. 234; Schröder, Kir-
chenregiment, S. 159.
158 Die Religionsherren bildeten die 1564 neu eingerichtete
kirchliche Mittelbehörde, bestehend aus zwei Richtern
und einem Geheimen Rat. Sie sollte zusammen mit den
Kastenpflegern zwischen dem Rat und dem Ministerium
vermitteln, vgl. Schröder, Kirchenregiment, S. 154.
159 Naujoks, Obrigkeitsgedanke, S. 177 unter Verweis auf
StadtA Esslingen, Reichsstadt, RP vom 19. Juli 1569
sowie F 207, Nr. 24a, „Mesnereid“ von 1569.
160 Schröder, Kirchenregiment, S. 281-285.
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