Die Grafschaft Wittgenstein
3. Kirchenordnung [1565] (Text S. 107)
Im Frühjahr 1564, also wenige Monate nach Erscheinen der Kirchenordnung (Nr. 2), kehrte Nikolaus Zell
auf Ersuchen Philipps von Hessen als Pfarrer nach Treysa zurück. Sein Nachfolger als Wittgensteiner
Superintendent wurde der Arfelder Prediger Caspar Hesselnbecher (Hasselnbach) († 1582), als Pfarrer in
Laasphe folgte ihm Bartholomäus Grenzenbach († 1583).46
Bereits zwei Jahre nach Fertigstellung der Kirchenordnung von 1563 wurde der Text überarbeitet und
in einer neuen Fassung veröffentlicht. Diese Ordnung weist weder Aussteller und Verfasser noch Datierung
auf.47 Die Vorrede wird eröffnet mit dem Pauluswort 1Kor 14,40 (Lasset aber alles ehrbar und ordentlich
zugehen) und dessen Auslegung: Die kirchlichen Formen sollen einheitlich vollzogen werden, insbesondere
bei Anstellung kirchlicher Amtsträger (Pfarrer, Senioren, Kastenmeister, Opfermänner), den kirchlichen
Zeremonien (Predigtzeiten und -inhalte, Katechismuslehre, Sakramentenverwaltung) und der Kirchen-
zucht.48
Ebenso wie die beiden Vorgängerordnungen von 1555 und 1563 enthält auch diejenige von 1565 luthe-
rische und oberdeutsche Elemente, sie lässt aber eine stärkere Akzentuierung der reformierten Theologie
erkennen. Gegenüber der Ordnung von 1563, die viele Feiertage aufzählt, wurde deren Anzahl nun drastisch
reduziert, die Menge der Luther-Lieder in den Gottesdiensten ebenfalls verringert, es war nicht mehr von
Frühmette und Vesper die Rede ist, sondern von Früh- und Mittelpredigt, in der Liturgie wurde nicht mehr
die lateinische Sprache, sondern überwiegend die deutsche verwendet49 und bei Taufen sollte auf den Exor-
zismus verzichtet werden. Neu gegenüber den bisherigen Kirchenordnungen war auch, dass nicht mehr die
Confessio Augustana als Lehrgrundlage angeführt wurde, sondern einzig die „scriptura canonica, das ist der
propheten und aposteln lehr“. Diese Akzentverlagerung wird von zahlreichen Verweisen auf Bibelstellen
unterstrichen. Auch die Ältesten als Vertreter der Gemeinden erhielten in der Kirchenordnung von 1565
insofern ein größeres Gewicht, als zu ihrer Wahl und ihren Aufgaben ein ausführlicher Abschnitt inseriert
ist.50
Überblickt man alle drei Wittgensteiner Kirchenordnungen von 1555, 1563 und 1565, zeigt sich, dass die
jeweils ältere Fassung bei Erscheinen einer neuen weiterhin in Kraft blieb und von dieser lediglich ergänzt
wurde. So erklärt sich auch, dass beide Kirchenordnungen von 1563 und 1565 im Wittgensteiner Landrecht
enthalten sind. Als das Landrecht 1579 zusammengestellt wurde, war die Zweite Reformation in der Graf-
schaft bereits eingeführt. Vor diesem Hintergund war Wilhelms Kirchenordnung von 1555 überholt und
folglich nicht mehr ins Landrecht aufgenommen worden.51
46 Zu Hesselnbecher siehe Bauks, Pfarrer, Nr. 2620; Stup-
perich, Reformationsgeschichte, S. 190; Schröer,
Reformation 1, S. 223f. Zu Bartholomäus Grenzenbach
siehe Bauks, Pfarrer, Nr. 2072.
47 Hartnack, Landrecht, S. 10-16.
48 Zum Inhalt siehe Bauer, Reformation Wittgenstein,
S. 48; Kroh, Wiederentdeckung, S. 30-46; Herbers,
Beiträge, S. 94f., 104-110.
49 Dennoch ist im Abschnitt „Wie den sontag“ weiterhin
vom lateinischen Introitus, Graduale und Alleluja die
Rede.
50 Vgl. Schmidt, Wetterauer Grafenverein, S. 324; Hins-
berg, Kirchengemeinde Berleburg, S. 21, 30; Schröer,
Reformation 1, S. 224; Borgmeyer, Reformation,
S. 181. Hinsberg, Kirchengemeinde Berleburg, S. 29
konstatiert, dass die Kirchenordnung von der reformier-
ten Kurpfälzer Ordnung beeinflusst wurde.
51 Vgl. Burkardt, Kirchenordnung, S. 73; ders., Graf-
schaft Wittgenstein, S. 480f.; Demandt, Geschichte des
Landes Hessen, S. 517.
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3. Kirchenordnung [1565] (Text S. 107)
Im Frühjahr 1564, also wenige Monate nach Erscheinen der Kirchenordnung (Nr. 2), kehrte Nikolaus Zell
auf Ersuchen Philipps von Hessen als Pfarrer nach Treysa zurück. Sein Nachfolger als Wittgensteiner
Superintendent wurde der Arfelder Prediger Caspar Hesselnbecher (Hasselnbach) († 1582), als Pfarrer in
Laasphe folgte ihm Bartholomäus Grenzenbach († 1583).46
Bereits zwei Jahre nach Fertigstellung der Kirchenordnung von 1563 wurde der Text überarbeitet und
in einer neuen Fassung veröffentlicht. Diese Ordnung weist weder Aussteller und Verfasser noch Datierung
auf.47 Die Vorrede wird eröffnet mit dem Pauluswort 1Kor 14,40 (Lasset aber alles ehrbar und ordentlich
zugehen) und dessen Auslegung: Die kirchlichen Formen sollen einheitlich vollzogen werden, insbesondere
bei Anstellung kirchlicher Amtsträger (Pfarrer, Senioren, Kastenmeister, Opfermänner), den kirchlichen
Zeremonien (Predigtzeiten und -inhalte, Katechismuslehre, Sakramentenverwaltung) und der Kirchen-
zucht.48
Ebenso wie die beiden Vorgängerordnungen von 1555 und 1563 enthält auch diejenige von 1565 luthe-
rische und oberdeutsche Elemente, sie lässt aber eine stärkere Akzentuierung der reformierten Theologie
erkennen. Gegenüber der Ordnung von 1563, die viele Feiertage aufzählt, wurde deren Anzahl nun drastisch
reduziert, die Menge der Luther-Lieder in den Gottesdiensten ebenfalls verringert, es war nicht mehr von
Frühmette und Vesper die Rede ist, sondern von Früh- und Mittelpredigt, in der Liturgie wurde nicht mehr
die lateinische Sprache, sondern überwiegend die deutsche verwendet49 und bei Taufen sollte auf den Exor-
zismus verzichtet werden. Neu gegenüber den bisherigen Kirchenordnungen war auch, dass nicht mehr die
Confessio Augustana als Lehrgrundlage angeführt wurde, sondern einzig die „scriptura canonica, das ist der
propheten und aposteln lehr“. Diese Akzentverlagerung wird von zahlreichen Verweisen auf Bibelstellen
unterstrichen. Auch die Ältesten als Vertreter der Gemeinden erhielten in der Kirchenordnung von 1565
insofern ein größeres Gewicht, als zu ihrer Wahl und ihren Aufgaben ein ausführlicher Abschnitt inseriert
ist.50
Überblickt man alle drei Wittgensteiner Kirchenordnungen von 1555, 1563 und 1565, zeigt sich, dass die
jeweils ältere Fassung bei Erscheinen einer neuen weiterhin in Kraft blieb und von dieser lediglich ergänzt
wurde. So erklärt sich auch, dass beide Kirchenordnungen von 1563 und 1565 im Wittgensteiner Landrecht
enthalten sind. Als das Landrecht 1579 zusammengestellt wurde, war die Zweite Reformation in der Graf-
schaft bereits eingeführt. Vor diesem Hintergund war Wilhelms Kirchenordnung von 1555 überholt und
folglich nicht mehr ins Landrecht aufgenommen worden.51
46 Zu Hesselnbecher siehe Bauks, Pfarrer, Nr. 2620; Stup-
perich, Reformationsgeschichte, S. 190; Schröer,
Reformation 1, S. 223f. Zu Bartholomäus Grenzenbach
siehe Bauks, Pfarrer, Nr. 2072.
47 Hartnack, Landrecht, S. 10-16.
48 Zum Inhalt siehe Bauer, Reformation Wittgenstein,
S. 48; Kroh, Wiederentdeckung, S. 30-46; Herbers,
Beiträge, S. 94f., 104-110.
49 Dennoch ist im Abschnitt „Wie den sontag“ weiterhin
vom lateinischen Introitus, Graduale und Alleluja die
Rede.
50 Vgl. Schmidt, Wetterauer Grafenverein, S. 324; Hins-
berg, Kirchengemeinde Berleburg, S. 21, 30; Schröer,
Reformation 1, S. 224; Borgmeyer, Reformation,
S. 181. Hinsberg, Kirchengemeinde Berleburg, S. 29
konstatiert, dass die Kirchenordnung von der reformier-
ten Kurpfälzer Ordnung beeinflusst wurde.
51 Vgl. Burkardt, Kirchenordnung, S. 73; ders., Graf-
schaft Wittgenstein, S. 480f.; Demandt, Geschichte des
Landes Hessen, S. 517.
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