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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0314
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Wolfenbüttel

sein Vater so grausam und zornig gegen ihme
von wegen unser sünden, die er zu büssen und
zu bezalen auf sich genomen hat, erzeigt, als
wenn er ihn ganz und gar verlassen und sich
sein ,nichts mehr hette annemen wöllen. Aus
welchem schrecken der helle er ihn doch wider-
umb erlöset, wie er im psalm sagt [Psal. 16, 10]:
Du wirst meine seel nicht in der helle lassen
und nicht zugeben, das dein heiliger verwese.
Derhalben wie er solche hellische schrecken von
ihme genommen, die er mit leib und seel und
mit unaussprechlichem schrecken erfaren hat,
also hat er nach seinem tod den leib bis an den
dritten tag zur herrlichen auferstehung verwaret
und ihn am dritten tage auferwecket [Rom. 4 24].
Daer denn nach vollkommener buss und bezalung
der ganzen welt sünde mit sich gebracht hat
vollenkommene gerechtigkeit, das wie er gen
himel gefaren und in seine glori und herrlig-
keit eingangen ist [Act. 1, 9—11; Mar. 16, 19;
Luc. 24, 51], also wird er auch wider komen
und solcher seiner glori und herrligkeit teil-
haftig machen alle, die busse gethan und war-
haftig an ihn gegleubet haben, das er nemlich
allein mit seinem gehorsam, bitter leiden und
sterben alle unser sünde gebüsset und bezalet
und das ewig leben, welchs unsers verdienstes
halben ein lauter geschenk und gabe Gottes
ist, verdienet habe [Rom. 6.].

Das wir aber solchs gleuben und in allen an-
fechtungen ;uns darauf verlassen können, das
wirket der heilig Geist 56 durch die predigt des
heiligen evangelii mit seiner kraft in den herzen
der (ausserwehlten, welchs er nicht nur an einem
ort, sondern in der ganzen weiten welt thut und
versamlet ihme also eine heilige christliche und
allgemeine kirche 57, in welcher ist aller him-
lischen güter gemeinschaft. Denn nicht ein jeder
einen besondern Gott, einen besondern glauben,
eine besondere tauf, ein besonder sacrament des
leibes und bluts Christi, sondern [Eph. 4, 4 ff.
wie nur ein Gott ist, ein glaub, eine taufe, ein

56 a. R.: Der glaub ein gabe des h. Geistes.

57 a. R.: Gemeinschaft der christlichen kirchen.

Herr und Vater uber alles, durch alle und in
allen, also ist es ein gemeiner Gott, Herr und
Vater des hirten sowol als des keysers, derihnen
vergebung, verzeihung und nachlassung aller ih-
rer sünden durch den einigen verdienst des bit-
tern leidens und sterbens Jhesu Christi zugesagt
und versprochen hat. Darumb, weil alle recht-
schaffene Christen wissen, das ihnen unmüglich,
ihre sünde zu bezalen (denn sie können sich
keinen tag noch stunde vor der sünden hüten,
wie heftig sie auch streiten, und müssen be-
kennen, das auch in den werken, der sie sich
bevleissigen, nach dem willen Gottes zu thun,
immer schwacheit mitlaufe, das sie nicht ge-
schehen so vollkomen, wie sie billich geschehen
solten), und also mit Esaia dem propheten gern
bekennen [Esa. 64, 5]: Alle unser gerechtigkeit,
das ist unsere werk, da sie am besten sind, sind
vor dir wie ein unrein tuch. Wie solten sie
denn etwas an den vorgehenden sünden bezalen
können ?

Der ursach sagen die Christen nicht: Ich
gleube ein bezalung der sünden, die ich mit
meinen eigen oder anderer heiligen leut guten
werk bezalen könne, sondern ich gleube ver-
gebung 58, verzeihung und nachlassung der sün-
den, welche nicht ich mit meinen werken, son-
dern allein Jhesus Christus mit seinem un-
schüldigen gehorsam bezalet hat [Rom. 5; 1. Pet. 1,
18 f.]. Wir haben diese grosse schult gemacht,
aber er hats bezalet, nicht mit gold oder silber,
sondern mit seinem heiligen leib und blut. Wir
haben gesündiget, er ist gestrafft worden, wie
Esaias sagt [Esa. 53, 5]: Die straffe ligt auf ihm,
auf das wir friede haben, und durch seine
wunden sind wir geheilet worden. Der auch am
jüngsten tage unsere leibe widerumb von den
todten erwecken [Phil. 3, 21; 1. Cor. 15, 12 ff.;
1. Thess. 4, 16 f.] und also nicht allein die seele,
sondern zumahl leib und seele der ewigen freu-
den und seligkeit teilhaftig machen wird.

Darumb so gleuben wir allein in Gott 59, das

58 a. R.: Die Christen gleuben vergebung der
sünden.

59 a. R.: Was heisst, in Gott gleuben?

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