Klosterordnung 1569
ihr gebet bey dir erlanget haben. Nun aber
sind sie ferne von uns, das vvir ihnen nicht
ruffen, sie auch uns nicht hören können, dar-
umb wollen wir zu dir laufen, der du unser
Vater und unser erlöser bist und uns befohlen
hast, in unser not dich anzuruffen, denn Vater
ist dein alter name, der du nicht allein deines
Sons, sondern auch unser Vater bist und uns
als deine arme kinder nicht verstossen wirst.
Da uns denn der prophet mit einfeltigen,
klaren worten in das Vater unser weiset, da
Christus geleret hat: Wenn ihr beten wollet, so
sprechet: Vater unser, der du bist im himel etc.,
Luc. 11 [2—4]; Matth. 6 [9—13],
Weil denn die abgestorbenen heiligen uns
nicht hören, was sollen wir sie denn anruffen?
So wollen auch die engel 66 nicht angeruffen
werden, wenn sie gleich teglich umb uns her
sind, wie in der Offenbarung Johannis zu sehen,
da der engel nicht wolt leiden, das ihn Johan-
nes anbetet. Ich fiel, spricht Johannes [Apo. 19,
10], für ihn zu seinen füssen, ihn anzubeten,
und er sprach zu mir: Sihe zu, thue es nicht,
ich bin dein mitknecht und deiner briider und
derer, die das zeugnis Jhesu haben. Bete Gott
an! So wir nun einen engel nicht dorfen an-
beten, der bey uns ist, wie solten wir denn
einen menschen anbeten, der nicht bey uns
ist und nichts von uns weis?
Das man aber saget 67, man ruffe die heiligen
nicht der meinunge an, das sie uns helfen oder
unsere mitler vor Gott sein solten, sondern
allein als fiirbitter, das ist auch nichts. Denn 68
die gebet und collecten sind auf den verdienst
der lieben heiligen gestelt, dardurch uns Gott
an leib und seele helfen sol, wie solches alle
klosterjungfrauen wissen.
66 a. R.: Die engel wollen nicht angeruffen
werden.
67 a. R.: Einrede.
68 a. R.: Widerlegung.
69 a.R.: Ob die heiligen auch als mitler vor
Gott angeruffen worden.
70 Vgl. Röm. Meßbuch, Gedächtnis der Heili-
gen, S. 473: ... quorum meritis precibusque
concedas, ut in omnibus protectionis tuae
muniamur auxilio.
Nun ist aber Christus unser mitler allein in
seinem verdienst, damit er für uns bezalet und
Gott uns widerumb versönet hat. Darumb so
oft wir etwas bitten im namen der heiligen 69,
das uns Gott umb ihres verdienstes willen
wolle behüten, wie denn solches dem canon der
meß 70 einverleibet und keine mess gelesen,
darin nicht der verdienst der lieben heiligen
vermeldet wird, so ist auch offenbar, das man
aus ihnen mitler gemacht hat.
So zeuget Johannes nur von einem advocaten
und fürsprech 71, den alle gleubigen bey Gott
haben. Ob jemand sündiget, spricht Johannes
[1. Joh. 2, 1 f.], so haben wir einen fürsprecher
bey dem Vater, Jhesum Christum, der gerecht
ist, und derselbige ist die versönung für unser
sünde, nicht allein aber für die unsere, sondern
auch für der ganzen welt sünde. An diesem
fürsprechen sollen wir uns benügen lassen,
der wird uns nichtes verschlaffen, sondern alle
nodturft bey dem Vater reden.
Das aber in diesem leben einer den andern
vermanet 72, für sich zu bitten, dessen haben
wir bevehl und exempel. Aber von den ab-
gestorbenen stehet geschrieben [Esa. 64 = Jes
63, 16]: Abraham weis nichts von uns, und
Israel kennet uns nicht. Dabey wir es auch
bleiben und die abgestorbenen sollen ruhen
Iassen.
Desgleichen das gesaget wird, man bete die
mutter Gottes 73 nicht an, sondern grüsse sie
allein, ist auch das widerspiel in den vielfeltigen
gebetlin zu sehen, die zu der mutter Gottes ge-
richtet sind. Denn von ihr wird gebeten, das
man allein von Gott bitten sol, als da gesungen
und gebeten wird 74: Tu nos ab hoste protege
et in hora mortis suscipe; das ist auf deutsch
71 a. R.: Christus unser einiger advocat bey Gott.
72 a. R.: Unterscheid der lebendigen und der
todten. belangend die anmanung zum gebet.
73 a. R.: Die mutter Gottes nicht allein gegrüs-
set, sondern auch angebetet worden.
74 Vgl. Röm. Meßbuch, S. [239]: Maria, Mater
gratiae, Mater misericordiae, tu nos ...
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ihr gebet bey dir erlanget haben. Nun aber
sind sie ferne von uns, das vvir ihnen nicht
ruffen, sie auch uns nicht hören können, dar-
umb wollen wir zu dir laufen, der du unser
Vater und unser erlöser bist und uns befohlen
hast, in unser not dich anzuruffen, denn Vater
ist dein alter name, der du nicht allein deines
Sons, sondern auch unser Vater bist und uns
als deine arme kinder nicht verstossen wirst.
Da uns denn der prophet mit einfeltigen,
klaren worten in das Vater unser weiset, da
Christus geleret hat: Wenn ihr beten wollet, so
sprechet: Vater unser, der du bist im himel etc.,
Luc. 11 [2—4]; Matth. 6 [9—13],
Weil denn die abgestorbenen heiligen uns
nicht hören, was sollen wir sie denn anruffen?
So wollen auch die engel 66 nicht angeruffen
werden, wenn sie gleich teglich umb uns her
sind, wie in der Offenbarung Johannis zu sehen,
da der engel nicht wolt leiden, das ihn Johan-
nes anbetet. Ich fiel, spricht Johannes [Apo. 19,
10], für ihn zu seinen füssen, ihn anzubeten,
und er sprach zu mir: Sihe zu, thue es nicht,
ich bin dein mitknecht und deiner briider und
derer, die das zeugnis Jhesu haben. Bete Gott
an! So wir nun einen engel nicht dorfen an-
beten, der bey uns ist, wie solten wir denn
einen menschen anbeten, der nicht bey uns
ist und nichts von uns weis?
Das man aber saget 67, man ruffe die heiligen
nicht der meinunge an, das sie uns helfen oder
unsere mitler vor Gott sein solten, sondern
allein als fiirbitter, das ist auch nichts. Denn 68
die gebet und collecten sind auf den verdienst
der lieben heiligen gestelt, dardurch uns Gott
an leib und seele helfen sol, wie solches alle
klosterjungfrauen wissen.
66 a. R.: Die engel wollen nicht angeruffen
werden.
67 a. R.: Einrede.
68 a. R.: Widerlegung.
69 a.R.: Ob die heiligen auch als mitler vor
Gott angeruffen worden.
70 Vgl. Röm. Meßbuch, Gedächtnis der Heili-
gen, S. 473: ... quorum meritis precibusque
concedas, ut in omnibus protectionis tuae
muniamur auxilio.
Nun ist aber Christus unser mitler allein in
seinem verdienst, damit er für uns bezalet und
Gott uns widerumb versönet hat. Darumb so
oft wir etwas bitten im namen der heiligen 69,
das uns Gott umb ihres verdienstes willen
wolle behüten, wie denn solches dem canon der
meß 70 einverleibet und keine mess gelesen,
darin nicht der verdienst der lieben heiligen
vermeldet wird, so ist auch offenbar, das man
aus ihnen mitler gemacht hat.
So zeuget Johannes nur von einem advocaten
und fürsprech 71, den alle gleubigen bey Gott
haben. Ob jemand sündiget, spricht Johannes
[1. Joh. 2, 1 f.], so haben wir einen fürsprecher
bey dem Vater, Jhesum Christum, der gerecht
ist, und derselbige ist die versönung für unser
sünde, nicht allein aber für die unsere, sondern
auch für der ganzen welt sünde. An diesem
fürsprechen sollen wir uns benügen lassen,
der wird uns nichtes verschlaffen, sondern alle
nodturft bey dem Vater reden.
Das aber in diesem leben einer den andern
vermanet 72, für sich zu bitten, dessen haben
wir bevehl und exempel. Aber von den ab-
gestorbenen stehet geschrieben [Esa. 64 = Jes
63, 16]: Abraham weis nichts von uns, und
Israel kennet uns nicht. Dabey wir es auch
bleiben und die abgestorbenen sollen ruhen
Iassen.
Desgleichen das gesaget wird, man bete die
mutter Gottes 73 nicht an, sondern grüsse sie
allein, ist auch das widerspiel in den vielfeltigen
gebetlin zu sehen, die zu der mutter Gottes ge-
richtet sind. Denn von ihr wird gebeten, das
man allein von Gott bitten sol, als da gesungen
und gebeten wird 74: Tu nos ab hoste protege
et in hora mortis suscipe; das ist auf deutsch
71 a. R.: Christus unser einiger advocat bey Gott.
72 a. R.: Unterscheid der lebendigen und der
todten. belangend die anmanung zum gebet.
73 a. R.: Die mutter Gottes nicht allein gegrüs-
set, sondern auch angebetet worden.
74 Vgl. Röm. Meßbuch, S. [239]: Maria, Mater
gratiae, Mater misericordiae, tu nos ...
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