Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0689
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kirchenordnung 1575

VIII. caput.

Von der beicht.

Weil die beicht und privata absolutio umb
vieler wichtigen und grossen ursache willen
ein hochnottwendig ding ist in der kirchen Got-
tes, als erstlich darumb, das die ungeschickten
darin von den dingen, so ihnen zu wissen von-
nöten, fein richtig unterwiesen werden konnen,
zum andern, das man darin auch kan spuren
und abnhemen, ob jemand in der christlichen
lehre zunimpt oder nicht,
zum dritten, das diejennen, von welcherer
glauben oder bekantnus man zweifelt, notturft-
liglichen vorhöret werden,
zum vierten, das diejennen, welche in der
lehre oder im leben vordechtig oder unrichtig
sein, nach notturft konnen vormhanet werden,
zum funften, das die betrubten herzen und
blöden gewissen, so trostes vonnöten, und die-
jennen, so etwa von einem artickel und stucke
unterricht begeren, mit demselben desto besser
vorsehen werden konnen,
zum sechsten, das einem jeden dadurch die
wolthaten Christi vor seine person applicirt
werden mugen, so ist auch dieselbe in ihrem
gebrauche in dieser kirchen bis dahero behal-
ten und demnach keiner zum hochwirdigen sa-
crament des wahren leibes und theuren bluts
Christi gestatet worden, ehr habe sich dan zu-
vor bey seinem beichtvatter angegeben, sich vor
einen sunder bekant und die privatam absolu-
tionem erlanget, wird auch vorangezeigter ur-
sachen halben billich mit sonderm vleisse also
bewahret. Darumb sollen die beichtvätter die
leute, welcherer erkentnisse in Gottes wort
ihnen nicht grundlich bewust, in der beicht von
nottwendigen artickeln vleissig examiniren, die
einfeltigen freundlich unterweysen, die halstar-
rigen emstlich straffen, damit die ungeschicketen
gelehret, die blöden gewissen getröstet 92a und die
ruchlosen mit der drouung des ernsten zorns Got-
tes widder die sunde zur busse vormhanet und
gereizet und also die leute durch die beicht ahn

92a „die ... getröstet“ nur in Abschriften.

ihrem christenthumb und seligkeit merklich be-
furdert werden. Wird derowegen auch der alte
gebrauch billich gehalten, das man nicht zwen,
drey oder mehr auf einmhal zugleich vornimmet,
welchs nicht zu dulden ist, sondern einem je-
den alleine höret und absolviret.

Es ist auch sehr nutz und gutt, das man
schwangere frauen in der beicht vleissig lehret
und vormhanet, das sie die liebe leibesfrucht
nicht vor eine geringe oder gemeine gabe, son-
der vor einen sonderlichen grossen segen Got-
tes achten und halten, ihme derowegen von her-
zen vleissig dafur danken und die ganze zeit
uber, die sie schwanger gehen, dieselbe vleissig
in ihrem andechtigen gebete dem Hern zutragen
und befhelen, umb eine gnedige vorlösinge an-
ruffen und bitten und nicht darahn zweifeln,
sondern vestiglich gleuben. das ehr ihre gebett
gnediglichen erhöret und sich beyde, die mutter
und die frucht, umb seines lieben Sohns Jesu
Christi willen nach seinen reichen zusagen vät-
terlichen befholen sein lassen wolle. Und nach-
deme diejennen, welchen es ungerate in der ge-
burt gegangen ist, gueten raths und trostes von-
nöten haben, ist ihnen derselbe getreulich aus
der außlegung Doct. Johannis Pomerani uber den
29. psalmum Davidis 93 vorzuhalten und mitzu-
theilen.

IX. caput.

Von besudiung der kranken.

Nachdem viel und groß daran gelegen ist,
das ein kranker mensch in seiner krankheit
woll underrichtet und getröstet werde und
solchs vor allen dingen auch ins predigampt
gehöret und den pfarherrn als seelsorgern zu-
stehet, so mussen auch alle seelsorger aus ob-
ligendem ampt sich sonderlich zum hogsten be-
vleissigen zu wissen, das sie ihre beichtkinder
in der krankheit besuchen und getreulich leh-
ren, wie sie sich gedultiglich in ihrem kreuze
vorhalten und gegen ihre anligen mit Gottes

93 Vgl. oben S. 126, Anm. 54.

669
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften