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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Antrittsreden
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Leonhardt, Jürgen: Antrittsrede vom 9. Dezember 2006
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0134
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ANTRITTSREDEN

ner Fächer zusammenzufuhren sind, etwa der Germanistik, der Romanistik, der
Geschichtswissenschaft und der Theologie. Daher freue ich mich ganz besonders
darüber, daß entsprechende Schwerpunkte bei der frühen Neuzeit in der Heidel-
berger Akademie besonders dicht vorhanden sind.
Doch mein wissenschaftlicher Werdegang hat auch eine andere Seite. Als Ver-
treter der Latinistik an einer deutschen Universität habe ich natürlich primär nicht
über Erasmus, Melanchthon oder Lorenzo Valla zu lehren, sondern über die Autoren
der Klassischen Antike. Das bedeutet äußerlich gesehen oft eine Kluft zwischen For-
schungsschwerpunkt und Aufgaben in der Lehre. Aber merkwürdigerweise hat mir
dies von Jahr zu Jahr weniger Probleme bereitet. Die Aufgabe, für die lateinische
Literatur der Antike im Laufe der Jahre eine, wie ich vielleicht hoffen darf, einiger-
maßen breit gestreute Kompetenz zu erwerben, empfand ich keineswegs als Konzes-
sion an meine Dienstpflichten. Es hat mir ganz im Gegenteil zunächst einmal Ver-
gnügen bereitet, mich intensiv mit Vergil und Horaz, mit Seneca und Boethius zu
beschäftigen. Gerade die ästhetische Seite, die Musikalität und Schönheit der lateini-
schen Literatur haben es mir besonders angetan. Dann aber kann man neulateinische
Philologie ohne die Antike gar nicht betreiben. Die Antike ist nicht einfach die ältere
Abteilung der Latinistik, sondern das Gravitationszentrum, das überall wirksam ist.
Und schließlich hat mich gerade die Spannweite einer Kultur von 2000 Jahren, von
Cicero bis hin zum Latein der Gegenwart, vor Fragen gestellt, die ich aus der iso-
lierten Perspektive nur einer Epoche so deutlich nie gesehen hätte: Was tut man
eigentlich, wenn man nicht als Römer der klassischen Zeit (für den Lateinsprechen
ja wohl irgendwie normal gewesen sein muß), sondern als Mensch der Mittelalters
oder der Renaissance oder gar als deutscher Professor der Neuzeit Latein spricht und
schreibt? Einfach zu sagen, Latein gehöre zum kulturellen Erbe, ist zu wenig (und
die Metapher vom Erbe impliziert doch immer ein wenig den vorausgehenden
Todesfall). Das Problem, wie eine Sprache zu einer historischen Kultursprache wird,
ist kaum in Ansätzen erforscht. Und so habe ich in den letzten Jahren ein ganz neues
Interesse für die Lateinische Sprachgeschichte unter soziolinguistischem Aspekt ent-
deckt. Ich will hier abschließend einige Gedanken hierzu kurz andeuten, nicht weil
hier der Platz wäre, über wissenschaftliche Pläne zu sprechen, sondern weil sich hier
in meinen Augen für das Fach Latinistik neue Kontexte ergeben.
Zum ersten ist das Phänomen der historischen Kultursprache, d.h. der Sprache
einer vergangenen Zeit, die man nur noch in der Schule lernt und die dennoch über
Jahrhunderte oderJahrtausende noch aktiv gebraucht wird, ein globales Phänomen.
Vom Sumerischen über das Ägyptische, das Hebräische, Sanskrit, das Klassische Ara-
bisch oder das Klassische Tibetisch hat fast jeder Kulturkreis eine Traditionssprache
ausgebildet, die in ihrem Regelbestand weitgehend auf einem weit zurückliegenden
Stand (und meist anhand eines klassischen Literaturcorpus) fixiert ist, aber dennoch
aktiv gebraucht wurde oder wird. Seit einigen Jahren habe ich mit der geduldigen
Hilfe von Kollegen aus anderen Fächern versucht, die Entwicklung im Lateinischen
durch den Vergleich mit anderen Kultursprachen besser zu verstehen und möchte
einmal behaupten, daß der Versuch, hinter allen diesen Einzelfällen allgemeingültige
Mechanismen der Kulturentwicklung zu finden, lohnend wäre.
 
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