Ralf von den Hoff
Auch in Athen selbst fand dies Ausdruck: Im berühmten Heiligtum der Athe-
na auf der Athener Akropolis hat man seit dem 1. Jh. v. Chr. Statuenbasen mit den
darauf stehenden Bronzestatuen des 5. bis 2. Jh. v. Chr. als Ehrenstatuen römischer
Militärs und Magistrate wiederverwendet. Man ließ sie stehen, schrieb ihnen die
neuen Namen der geehrten Römer bei, beließ aber die alten Inschriften sichtbar
oder schrieb sie sogar erneut auf den Basen ein. Zeitgenössische Potentaten sahen
sich so in uralten athenischen Statuen geehrt. Wir können nicht einmal mit Sicher-
heit sagen, dass die Köpfe dieser Altstatuen den Neu-Geehrten angepasst wurden.
Die Athener selbst waren für diese Ehrungen zuständig; so schrieben sie ,fremde'
Machthaber in ihre eigene visuelle Vergangenheit ein. Auch auf der Akropolis ent-
stand ein lebendiges Kontinuum alter und neuer Bildwerke.
Die Weiter- und Wiedernutzung, aber auch die Imitation und Erneuerung von
Grabdenkmälern in den Nekropolen Athens lassen erkennen, dass antike Nekro-
polen Orte waren, die ,pragmatische Klassizismen' ermöglichten: durch ihre longue
duree als Erinnerungsspeicher und durch ökonomische Bedürfnisse. Auf dieser
Grundlage wurden klassische Bildwerke zum Bestandteil einer jeweils neuen Ge-
genwart, ohne dass dies unmittelbar mit einer programmatisch-ideologischer Se-
mantik verbunden sein musste, die sonst Klassizismen eigen war. Und dies wurde
im Kerameikos Athens weniger von sozialen Eliten - wie viele andere Klassizismen
- als von lokalen Mitteschichten getragen. Es schuf mehr als bloße Erinnerung,
vielmehr die Erfahrungsmöglichkeit einer bleibenden visuellen Integration des
Alten und Neuen, die übrigens auch das Erscheinungsbild von Heiligtümern in
Griechenland prägte. Für die Erforschung von Phänomenen der Retrospektive
sind solche Wieder- und Weiternutzungen mit ihren Folgen aufschlussreich, um
kulturelle Praktiken der Erinnerung besser zu verstehen.
Literatur
Bergemann, J., Demos und Thanatos. Untersuchungen zum Wertsystem der Polis im Spiegel der
attischen Grabreliefs des 4.Jhs. v. Chr., München 1997.
Christof, Eva, Zur antiken Umarbeitung und Wiederverwendung von Grabstelen in Klein-
asien und in den griechischen Inseln, Gephyra 23, 2022, 1-78.
Houby-Nielsen, S. H., Revival of Archaic Funerary Practices in the Hellenistic and Roman
Kerameikos, Proceedings of the Danish Institute at Athens 2, 1998, 127-145.
Kousser, R., The Afterlife of Greek Sculpture. Interaction, Transformation, and Destruction, Cam-
bridge 2017.
Krumeich, R., Erinnerung an die große Vergangenheit, aber möglichst sparsam?, in: Parigi,
C. (Hrsg.), Recycling and Reuse of Sculpture in Roman and Late Antique Time, Heidelberg
2022, 23-43.
Schmaltz, B./Salta, M., Zur Weiter- und Wiederverwendung attischer Grabreliefs klassi-
scher Zeit,Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 118, 2003, 49-203.
49
Auch in Athen selbst fand dies Ausdruck: Im berühmten Heiligtum der Athe-
na auf der Athener Akropolis hat man seit dem 1. Jh. v. Chr. Statuenbasen mit den
darauf stehenden Bronzestatuen des 5. bis 2. Jh. v. Chr. als Ehrenstatuen römischer
Militärs und Magistrate wiederverwendet. Man ließ sie stehen, schrieb ihnen die
neuen Namen der geehrten Römer bei, beließ aber die alten Inschriften sichtbar
oder schrieb sie sogar erneut auf den Basen ein. Zeitgenössische Potentaten sahen
sich so in uralten athenischen Statuen geehrt. Wir können nicht einmal mit Sicher-
heit sagen, dass die Köpfe dieser Altstatuen den Neu-Geehrten angepasst wurden.
Die Athener selbst waren für diese Ehrungen zuständig; so schrieben sie ,fremde'
Machthaber in ihre eigene visuelle Vergangenheit ein. Auch auf der Akropolis ent-
stand ein lebendiges Kontinuum alter und neuer Bildwerke.
Die Weiter- und Wiedernutzung, aber auch die Imitation und Erneuerung von
Grabdenkmälern in den Nekropolen Athens lassen erkennen, dass antike Nekro-
polen Orte waren, die ,pragmatische Klassizismen' ermöglichten: durch ihre longue
duree als Erinnerungsspeicher und durch ökonomische Bedürfnisse. Auf dieser
Grundlage wurden klassische Bildwerke zum Bestandteil einer jeweils neuen Ge-
genwart, ohne dass dies unmittelbar mit einer programmatisch-ideologischer Se-
mantik verbunden sein musste, die sonst Klassizismen eigen war. Und dies wurde
im Kerameikos Athens weniger von sozialen Eliten - wie viele andere Klassizismen
- als von lokalen Mitteschichten getragen. Es schuf mehr als bloße Erinnerung,
vielmehr die Erfahrungsmöglichkeit einer bleibenden visuellen Integration des
Alten und Neuen, die übrigens auch das Erscheinungsbild von Heiligtümern in
Griechenland prägte. Für die Erforschung von Phänomenen der Retrospektive
sind solche Wieder- und Weiternutzungen mit ihren Folgen aufschlussreich, um
kulturelle Praktiken der Erinnerung besser zu verstehen.
Literatur
Bergemann, J., Demos und Thanatos. Untersuchungen zum Wertsystem der Polis im Spiegel der
attischen Grabreliefs des 4.Jhs. v. Chr., München 1997.
Christof, Eva, Zur antiken Umarbeitung und Wiederverwendung von Grabstelen in Klein-
asien und in den griechischen Inseln, Gephyra 23, 2022, 1-78.
Houby-Nielsen, S. H., Revival of Archaic Funerary Practices in the Hellenistic and Roman
Kerameikos, Proceedings of the Danish Institute at Athens 2, 1998, 127-145.
Kousser, R., The Afterlife of Greek Sculpture. Interaction, Transformation, and Destruction, Cam-
bridge 2017.
Krumeich, R., Erinnerung an die große Vergangenheit, aber möglichst sparsam?, in: Parigi,
C. (Hrsg.), Recycling and Reuse of Sculpture in Roman and Late Antique Time, Heidelberg
2022, 23-43.
Schmaltz, B./Salta, M., Zur Weiter- und Wiederverwendung attischer Grabreliefs klassi-
scher Zeit,Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 118, 2003, 49-203.
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