Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

Zitierlink: 
https://digi.hadw-bw.de/view/jbhadw2023/0072
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II. Wissenschaftliche Vorträge

dass sie bis in die jüngste Gegenwart nicht wieder besiedelt wurde. Das Stadtge-
biet ist von einer 12 km langen, selbst nach Jahrtausenden immer noch weithin
sichtbaren Mauer umgeben. Es wird von zwei hohen Siedlungshügeln dominiert.
Heute tragen diese Hügel die Namen Tell Kuyunjik und Tell Nebi Yunus. Zweifel-
los sind sie die Keimzellen der nordmesopotamischen Metropole, die schon in
prähistorischer Zeit überregionale Bedeutung besessen hatte. In den historischen
Epochen lagen auf den beiden Hügeln innerhalb der Stadtmauern die stark befes-
tigten Zitadellen Ninives mit Tempeln, Palästen und Gärten. Von hier aus wurde
im 7. Jahrhundert vor unserer Zeit das assyrische Weltreich gelenkt, das von Per-
sien über Syrien und Palästina bis nach Ägypten, und von Anatolien bis hin zur
Arabischen Halbinsel reichte.
Vor mehr als 170 Jahren begannen britische Archäologen, den Tell Kuyunjik
genannten Siedlungshügel zu untersuchen. Man stieß dort auf zwei Königspaläste
gewaltigen Ausmaßes, jeweils ausgestattet mit reichem Relief- und Skulpturen-
schmuck. Sie waren 612 v. Chr. bei der Einnahme der Stadt in einer Feuersbrunst
in sich zusammengestürzt. Der Schutt der einbrechenden Mauern hatte das in
den Palästen zurückgelassene Inventar unter sich begraben und die Ruinen so gut
geschützt, dass sie in weiten Teilen immer noch meterhoch anstanden. Die Entde-
ckung von auf hohen steinernen Wandplatten angebrachten Reliefs machten Nini-
ve auf einen Schlag berühmt. Die heute zu einem beachtlichen Teil in den Museen
von London und Paris präsentierten Bilderzyklen zeigen den assyrischen König
im Kriegsgeschehen, im Triumphzug, bei der Jagd oder beim Opfer. Die riesigen
geflügelten menschenköpfigen Stierkolosse, welche die Eingänge von Palästen und
Stadttoren schmückten und böse Klüfte abwehren sollten, wurden geradezu zum
Logo der assyrischen Kultur. Die britischen Ausgräber entdeckten auch die Reste
der keilschriftlichen Palastbibliothek, die König Assurbanipal im 7.Jh. v. u. Z. hatte
anlegen lassen, um dort in einem für den Alten Orient einmaligen Vorhaben das
gesamte Wissen seiner Zeit zu versammeln. Ohne diesen bis heute bedeutendsten
Tontafelfund wäre unser Wissen um Literatur und Gelehrsamkeit, um Heilkunde,
Astronomie und Religion des alten Zweistromlands nur sehr bruchstückhaft. In
den Königspalästen von Tell Kuyunjik fanden sich darüber hinaus auch umfangrei-
che Teile der assyrischen Staatsarchive, die uns heute tiefe Einblicke in Politik und
Verwaltungsstrukturen des altorientalischen Großreiches ermöglichen.
Der zweite, an der westlichen Stadtmauer gelegene, nach dem Propheten
Jonas benannte Hügel Tell Nebi Yunus, blieb indes weitgehend unerforscht. Auf
Tell Nebi Yunus hatten die Archäologen nur in wenigen Randbereichen Zugang.
Denn weite Teile der ehemaligen, etwa 15 ha großen assyrischen Zitadelle waren
mit einer Moschee überbaut. Den Kern dieses Heiligtums bildete das bereits in
spätantiker Zeit verehrte Grab des Propheten Jonas, welches in islamischer Zeit
zu einem wichtigen Pilgerort heranwuchs. Allein einige Keilschrifttexte zeugten
davon, dass die letzten assyrischen Könige, lange bevor die Moschee entstand, an

72
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften