B. Die Mitglieder
jüdischen Bibelausleger [Galut = Exil]); ich solle doch die biblischen Geschichts-
bücher oder die Propheten bearbeiten, wenn ich meine Stelle behalten wollte (und
das wollte ich damals erstmal), und so schrieb ich dann erst ein Buch über den
biblischen Propheten Yeshayahu und reichte es 2002 als Habilitationsschrift in den
Jüdischen Studien an der Philosophischen Fakultät in Halle ein. 2002 ging ich
zunächst nach Lexington (Kentucky), USA, und 2003 dann für ein Semester nach
Harvard und wurde 2003 auf den Lehrstuhl für „Bibel und Jüdische Bibelausle-
gung" bei uns an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg berufen. 2004
kam unser drittes Kind zur Welt, aber es gab wieder keine Babypause, denn ich war
Alleinverdienerin, und mein Mann hielt mir (bis heute!) den Rücken frei. End-
lich konnte ich den Lehrstuhl so ausfüllen, wie es meinem Profil und dem Fach
„Bibel und Jüdische Bibelauslegung" an meiner Institution entsprach. Das Buch
über Rashbam erschien dann 2011, und ich hatte mir vorgenommen, in künftigen
Projekten die Arbeit all deijenigen Repräsentanten der Wissenschaft des Juden-
tums in Deutschland fortzuführen, die im Bereich der Text- und Auslegungstradi-
tionen der Hebräischen Bibel bahnbrechende Forschungsarbeit leisteten, für diese
Forschung in Deutschland allerdings nie einen universitären Rahmen vorfanden,
weder vor 1933 noch nach 1945.
Bibelwissenschaft als Teil der Wissenschaft des Judentums wird hier unver-
sehens zur akademischen jüdischen Theologie, unter der ich das begründete und
nach außen wissenschaftlich verantwortete Nachdenken über das eigene religiöse
Erbe verstehe, wie dies für die christliche universitäre Theologie selbstverständlich
ist. Dies ist nicht ohne Philologie und Geschichte zu haben: Aus der Perspektive
der akademischen Wissenschaftstradition leisten also die Forschungen zu Talmud,
jüdischem Recht, Liturgie sowie der Bibel und ihrer Kommentierung ihren phi-
lologisch-historischen Beitrag gleich jeder anderen universitären Disziplin. Aber
aus der jüdischen Perspektive wird diese Forschung zugleich zu einem Teil des
theologischen Diskurses, weil eine philologisch-historische Forschung dort zu
Reibungsverlusten führt, wo die Selbstgewissheit einer Tradition oder einer Kultur
in Frage gestellt werden kann und neue Interpretationsspielräume eröffnet werden
müssen.
Wir alle kennen den garstigen Graben zwischen verstörenden Inhalten anti-
ker Texte wie der Hebräischen Bibel und unserer heutigen moralischen ,correct-
ness'. Eine jüdische Bibelwissenschaft darf aus meiner Sicht daher nicht einfach
in der Althebraistik oder der altorientalischen Religions- und Literaturgeschich-
te aufgehen, sondern muss und kann neben der sog. schriftlichen Tora auch die
Traditionsliteraturen, die mündliche Tora, bearbeiten, denn diese reflektierte die
Konfrontation mit dem Unzeitgemäßen von Anfang an. Bibellektüre war auch
schon für die babylonischen und palästinischen Rabbinen zwischen dem 2. und
9. Jh. durchaus und immer wieder eine Zumutung. Die Schwierigkeiten, vor der
alle Religionsgemeinschaften stehen, wonach die Inhalte dieser Texte nur zu oft
204
jüdischen Bibelausleger [Galut = Exil]); ich solle doch die biblischen Geschichts-
bücher oder die Propheten bearbeiten, wenn ich meine Stelle behalten wollte (und
das wollte ich damals erstmal), und so schrieb ich dann erst ein Buch über den
biblischen Propheten Yeshayahu und reichte es 2002 als Habilitationsschrift in den
Jüdischen Studien an der Philosophischen Fakultät in Halle ein. 2002 ging ich
zunächst nach Lexington (Kentucky), USA, und 2003 dann für ein Semester nach
Harvard und wurde 2003 auf den Lehrstuhl für „Bibel und Jüdische Bibelausle-
gung" bei uns an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg berufen. 2004
kam unser drittes Kind zur Welt, aber es gab wieder keine Babypause, denn ich war
Alleinverdienerin, und mein Mann hielt mir (bis heute!) den Rücken frei. End-
lich konnte ich den Lehrstuhl so ausfüllen, wie es meinem Profil und dem Fach
„Bibel und Jüdische Bibelauslegung" an meiner Institution entsprach. Das Buch
über Rashbam erschien dann 2011, und ich hatte mir vorgenommen, in künftigen
Projekten die Arbeit all deijenigen Repräsentanten der Wissenschaft des Juden-
tums in Deutschland fortzuführen, die im Bereich der Text- und Auslegungstradi-
tionen der Hebräischen Bibel bahnbrechende Forschungsarbeit leisteten, für diese
Forschung in Deutschland allerdings nie einen universitären Rahmen vorfanden,
weder vor 1933 noch nach 1945.
Bibelwissenschaft als Teil der Wissenschaft des Judentums wird hier unver-
sehens zur akademischen jüdischen Theologie, unter der ich das begründete und
nach außen wissenschaftlich verantwortete Nachdenken über das eigene religiöse
Erbe verstehe, wie dies für die christliche universitäre Theologie selbstverständlich
ist. Dies ist nicht ohne Philologie und Geschichte zu haben: Aus der Perspektive
der akademischen Wissenschaftstradition leisten also die Forschungen zu Talmud,
jüdischem Recht, Liturgie sowie der Bibel und ihrer Kommentierung ihren phi-
lologisch-historischen Beitrag gleich jeder anderen universitären Disziplin. Aber
aus der jüdischen Perspektive wird diese Forschung zugleich zu einem Teil des
theologischen Diskurses, weil eine philologisch-historische Forschung dort zu
Reibungsverlusten führt, wo die Selbstgewissheit einer Tradition oder einer Kultur
in Frage gestellt werden kann und neue Interpretationsspielräume eröffnet werden
müssen.
Wir alle kennen den garstigen Graben zwischen verstörenden Inhalten anti-
ker Texte wie der Hebräischen Bibel und unserer heutigen moralischen ,correct-
ness'. Eine jüdische Bibelwissenschaft darf aus meiner Sicht daher nicht einfach
in der Althebraistik oder der altorientalischen Religions- und Literaturgeschich-
te aufgehen, sondern muss und kann neben der sog. schriftlichen Tora auch die
Traditionsliteraturen, die mündliche Tora, bearbeiten, denn diese reflektierte die
Konfrontation mit dem Unzeitgemäßen von Anfang an. Bibellektüre war auch
schon für die babylonischen und palästinischen Rabbinen zwischen dem 2. und
9. Jh. durchaus und immer wieder eine Zumutung. Die Schwierigkeiten, vor der
alle Religionsgemeinschaften stehen, wonach die Inhalte dieser Texte nur zu oft
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