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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0044
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Das byzantinische Süditalien 1 43

Die Übergangszeit zwischen der Spätantike und dem Hochmittelalter hatte
daher eine asymmetrische Wahrnehmung der asketischen Erfahrung eingeleitet,
die einen Großteil des Mittelalters andauerte. Doch in welchen Punkten verän-
derten sich im zehnten/elften Jahrhundert in Abgrenzung zur Spätantike die Be-
ziehungen zwischen Osten und Westen? Es ist anzunehmen, dass westliche In-
novationen, die jetzt das lateinische Mönchtum auf wirklich neue und kreative
Wege führen, tatsächlich tiefgreifende Brüche mit der Tradition darstellten. Das
Verhältnis zum östlichen Mönchtum wurde immer als unerreichbare Verkörpe-
rung des ursprünglichen Mönchtums betrachtet, weniger auf der Grundlage des
nachzuahmenden Vorbilds als auf der Grundlage der Sehnsucht nach dem, was
jetzt verboten war. Meiner Meinung nach spiegelt dies die Produktion lateini-
scher Vitae von heiligen östlichen Mönchen des elften Jahrhunderts wider, die
bereits erwähnt wurden. Was diese Vitae besonders enthüllen, ist die Suche des
westlichen Christentums nach einer Bestätigung der Reform - als Rückkehr zu
den Quellen - mittels jenen, die sie durch asketische Kleider verkörpern, nämlich
den „Griechen". Diese Zustimmung gilt zugleich jedoch als Verzicht, weil die
Westkirche dann institutionelle Systeme aufbaut, die die Askese, die diese östli-
chen Heiligen verkörpern, ablehnen. Diese Hagiographien zeigen eine Suche
nach Wurzeln, die der Westen weiterhin in dem östlichen Vorbild findet, und auf
die er aber gleichzeitig mit Sehnsucht verzichtet. Die Umdeutung der Begegnung
ist hier offensichtlich: das Quellenstudium hat schon lange gezeigt, dass das ita-
lienisch-griechische Mönchtum des neunten bis elften Jahrhunderts weit entfernt
von den hagiographischen Klischees des heiligen byzantinischen Mannes ist. Es
handelt sich größtenteils um ein koinobitisches Mönchtum, entstanden aus klei-
nen familiären und privaten Patrimonialstiftungen, bei denen der erste Hegame-
nos auch immer der Eigentümer ist und Leitung der Gemeinschaft häufig direkt
an seinen Sohn vererbt. Daher ist diese klösterliche Form derjenigen des „ratio-
nalen Eremitismus" sehr ähnlich, die den westlichen Mönchen wohl bekannt ist.
Die westlichen Reformatoren suchen bei den italienisch-griechischen Mönchen
also nicht nach einer institutionellen Inspiration, sondern nach einer Bestätigung
ihrer Reform durch die charismatische Autorität, der des abbas, des geistigen
Führers einer kleinen, starken Gemeinschaft. Meistens unterscheidet sich dieser
abbas, dem die charismatische Führung zusteht, von dem Hegumenos, der die
institutionelle Macht über die Gemeinschaft ausübt.19 Die Reformer suchen in

19 Annick Peters-Custot, Le monachisme italo-grec entre Byzance et l'Occident (VIIIe-
XIIIe siecles). Autorite de l'higoumene, autorite du charisme, autorite de la regle, in:
Les personnes d'autorite en milieu regulier des origines de la vie reguliere au XIXe siecle, hg.
von Daniel-Odon HuREL/Jean-Frangois CoTTiER/Benoit-Michel Tock (Collection du
 
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