52 I Annick Peters-Custot
ders charismatische Persönlichkeiten hervorgingen, die meistens von der Insti-
tution getragen wurden. Diesen wurde es gestattet, herumzuwandern, sich in-
spirieren zu lassen, zu reformieren, zu beten und zu den Quellen des Mönchtums
zurückzukehren. In der byzantinischen Welt wird die Spannung zwischen dem
Gemeinschaftsleben und dem einsamen Leben durch institutionelle Flexibilität
gelöst, durch ein Kommen und Gehen zwischen Gemeinschaft und Einsiedelei,
zwischen Kollektivität und Hesychasmus, zwischen der Heg^me^s-Herrschaft
und dem Abbas-Charisma (der Abbas bezeichnet den heiligen Asket, der in der
Nähe seines Klosters lebt, um ihn geistig zu beraten). Vielleicht war es diese
Flexibilität und Freiheit, die die westlichen Reformer anzog. Es wäre jedoch
falsch, einen monastischen Osten (Orient), der auf einsamer Askese und Cha-
risma gegründet sei, einem monastischen Westen (Okzident), der auf Gemein-
schaft und Herrschaft basiere, entgegenzustellen.
Das italienisch-griechische Mönchtum diente den Reformern daher als Inspi-
ration, nur weil diese Flexibilität der monastischen Lebensformen es erlaubte,
das Vorbild des heiligen charismatischen Mannes am Rande des mächtigen by-
zantinischen Koinobitismus zu leben. Die östliche Welt war weniger eine Inspi-
rationsquelle für westliche Innovationen als eine Legitimation von Neuheiten,
die mit alten Mustern brachen. Unter diesen westlichen Neuerungen berufen
wir uns häufig auf die institutionelle Macht der Mönchsorden, die sich insbeson-
dere in einer einzigartigen administrativen und bürokratischen Entwicklung
äußerte. Ich sehe noch eine andere Innovation: Der Versuch, die „Neuheit"
positiv zu konnotieren, verändert die Beziehung zu jener Zeit. Auch wenn die
positive Ausdeutung der Neuerung immer hinter dem Diskurs der reformatio,
der „Rückkehr zu den Quellen", die grundsätzlich eine größere Legitimation als
die „Innovation" ausübt, zurücksteht, lässt sich in der Tat ein neues und bestätig-
tes Bewusstsein für die Prozesshaftigkeit oder Progression der Kirche an sich
nachweisen. Ein solcher Diskurs tauchte in der byzantinischen Welt nicht auf,
die sich dafür rühmte, sich niemals zu bewegen - ein verzerrendes Bild, wie be-
reits der Blick auf die Entwicklung des byzantinischen Mönchtums gezeigt hat.
Dieser Diskurs der Progression, der vor dem elften Jahrhundert auch im Westen
nicht hörbar war, manifestiert einen neuen Willen, den Aufbau einer perfekten
Gesellschaft. Wir entwickeln uns von einem Rückkehrmotiv zu den Quellen, hin
zu einem stetigen Perfektionsmotiv, von einer Zirkelzeit - von der Joachim
schließlich eine konservative Manifestation ist - hin zu einer linearen Zeit.
ders charismatische Persönlichkeiten hervorgingen, die meistens von der Insti-
tution getragen wurden. Diesen wurde es gestattet, herumzuwandern, sich in-
spirieren zu lassen, zu reformieren, zu beten und zu den Quellen des Mönchtums
zurückzukehren. In der byzantinischen Welt wird die Spannung zwischen dem
Gemeinschaftsleben und dem einsamen Leben durch institutionelle Flexibilität
gelöst, durch ein Kommen und Gehen zwischen Gemeinschaft und Einsiedelei,
zwischen Kollektivität und Hesychasmus, zwischen der Heg^me^s-Herrschaft
und dem Abbas-Charisma (der Abbas bezeichnet den heiligen Asket, der in der
Nähe seines Klosters lebt, um ihn geistig zu beraten). Vielleicht war es diese
Flexibilität und Freiheit, die die westlichen Reformer anzog. Es wäre jedoch
falsch, einen monastischen Osten (Orient), der auf einsamer Askese und Cha-
risma gegründet sei, einem monastischen Westen (Okzident), der auf Gemein-
schaft und Herrschaft basiere, entgegenzustellen.
Das italienisch-griechische Mönchtum diente den Reformern daher als Inspi-
ration, nur weil diese Flexibilität der monastischen Lebensformen es erlaubte,
das Vorbild des heiligen charismatischen Mannes am Rande des mächtigen by-
zantinischen Koinobitismus zu leben. Die östliche Welt war weniger eine Inspi-
rationsquelle für westliche Innovationen als eine Legitimation von Neuheiten,
die mit alten Mustern brachen. Unter diesen westlichen Neuerungen berufen
wir uns häufig auf die institutionelle Macht der Mönchsorden, die sich insbeson-
dere in einer einzigartigen administrativen und bürokratischen Entwicklung
äußerte. Ich sehe noch eine andere Innovation: Der Versuch, die „Neuheit"
positiv zu konnotieren, verändert die Beziehung zu jener Zeit. Auch wenn die
positive Ausdeutung der Neuerung immer hinter dem Diskurs der reformatio,
der „Rückkehr zu den Quellen", die grundsätzlich eine größere Legitimation als
die „Innovation" ausübt, zurücksteht, lässt sich in der Tat ein neues und bestätig-
tes Bewusstsein für die Prozesshaftigkeit oder Progression der Kirche an sich
nachweisen. Ein solcher Diskurs tauchte in der byzantinischen Welt nicht auf,
die sich dafür rühmte, sich niemals zu bewegen - ein verzerrendes Bild, wie be-
reits der Blick auf die Entwicklung des byzantinischen Mönchtums gezeigt hat.
Dieser Diskurs der Progression, der vor dem elften Jahrhundert auch im Westen
nicht hörbar war, manifestiert einen neuen Willen, den Aufbau einer perfekten
Gesellschaft. Wir entwickeln uns von einem Rückkehrmotiv zu den Quellen, hin
zu einem stetigen Perfektionsmotiv, von einer Zirkelzeit - von der Joachim
schließlich eine konservative Manifestation ist - hin zu einer linearen Zeit.