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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0078
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Kaiser und Eremit: Otto III. und Romuald von Camaldoli 1 77

Überreizung zu deuten - es sei denn, man wollte die traditionelle machtpoliti-
sche Meistererzählung als einzige Interpretationsperspektive zulassen.108 Jedoch
erschöpft sich die Bedeutung von Akten herrscherlicher Frömmigkeit nicht in
ihrer bloß herrschaftsfunktionalen Dimension. Ottos Versprechen stellt wie
kaum ein anderes Ereignis aus seinem (bekannten) Leben die Frage nach der
Individualität seiner historischen Person ins Zentrum und lenkt den Blick auf
die Spannung zwischen den Erwartungen des politisch-sozialen Umfelds einer-
seits und dem individuellem Wollen andererseits. Dieser Konflikt begleitete ty-
pischerweise das Entscheidungshandeln, das mit dem Entschluss zur Abkehr
vom weltlichen Leben einherging - und führt den rückblickenden Historiker
gleichzeitig an die Grenzen der Möglichkeit zur historiographischen Rekon-
struktion vergangenen Lebens. Als Otto III. sich entschloss, „aus Verlangen
nach Christus auf das Reich und die Reichtümer zu verzichten,109 brach er mit
Traditionen. Die geistlichen Ermahnungen, die in der frühchristlichen Herr-
scherparänese wurzelten und im sakralen Königtum der Ottonen ihren festen
Platz hatten, ermutigten zu Bußfertigkeit und Demut vor Gott, stärkten da-
durch die Zuversicht, auch als Herrscher das jenseitige Heil erringen zu kön-
nen - und verlangten gerade nicht den Amtsverzicht zur Rettung des eigenen
Seelenheils. Aber die Handlung, zu der sich Otto III. Anfang 1001 durch sein
Sündenbewusstsein gedrängt sah, sprengte den Rahmen dessen, was die De-
monstration von Demut gegenüber Gott dem Kaiser bisher abverlangte.
Sein Amtsverzicht um der Mönchwerdung willen hätte den Zusammenhang
zwischen dem Seelenheil des Herrschers und dem Wohlergehen des Reiches aber
wohl in die Aporie geführt. Nur Ottos früher Tod ersparte der ottonischen Kö-
nigsherrschaft die Zerreißprobe, die in der Verwirklichung seines Versprechens
schlummerte. Auch wenn Brun von Querfurt den Verzicht Ottos auf seine Herr-
scherstellung unmissverständlich als wünschenswert anklingen lässt, macht er
ihm die unterbliebene Verwirklichung seines Vorsatzes nicht zum Vorwurf, son-
dern schließt „sowohl aus seinen Werken als auch aus dem guten Wunsch, den er
hatte", dass ihm das ewige Leben sicher sei, weil er „hohen Sinns die oberste Ge-
walt und die größte Herrlichkeit in so plötzlichem Wechsel zu verlassen gedachte"
und „vor den Augen der Menschen das Kaisertum, innerlich aber im Herzen vor
den Augen des Schöpfers den Mönch zur Schau" getragen habe".110

108 Vgl. die Überlegungen bei Stephanie Kluge, Kontinuität und Wandel? Zur Bewertung
hochmittelalterlicher Königsherrschaft durch die frühe bundesrepublikanische Mediävis-
tik, in: Frühmittelalterliche Studien 48 (2014), S. 39-120.

109 Das Zitat bereits oben in Anm. 28.

110 Brun von Querfurt, Vita quinque fratrum (wie Anm. 2), cap. 7, S. 46 Z. 8-11: Quem etsipena
purgatoria interrogat, tarn ex eins operibus, quam ex bono desiderio quod babebat, libentis-
 
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