Franziskus als Stifter franziskanischer Identität im 13. und 14. Jahrhundert 1 81
kenntnissen,13 als frauenfeindlichen Mann mit auffälligem Desinteresse an Klara
und ihren Schwestern,14 beeinflusst vom Katharismus15 und schließlich als den
gescheiterten und sogar verratenen Ordensgründer, der sich bereits 1220 desil-
lusioniert von der Leitung der von ihm gegründeten Gemeinschaft zurückzog,
um fortan als Bußprediger und Eremit im Kreis einer kleinen Gruppe von Ge-
fährten zu leben.16
Als Person eher unscheinbar arbeitete Francesco Bernardone mit unglaubli-
cher Beständigkeit und mit charismatischer Ausstrahlung an seiner Rolle als
Bußprediger und überzeugte viele Zeitgenossen durch die Perfektion seiner
Christusnachfolge, durch seine humilitas, seinen unbedingten Gehorsam und
seine totale Ablehnung allen Besitzes.17 Dabei war sein Verhalten durchaus nicht
frei von Widersprüchen. Der Ordensgründer, der seine Verantwortung als
Haupt der Gemeinschaft nach seiner Rückkehr aus Ägypten abgab und der nie
müde wurde, seine Demut unter Beweis zu stellen, betrachtete es noch 1223 als
sein Recht, die Normen des entstehenden Ordens festzusetzen.18 In der Epistola
toti ordini missa wie auch in anderen Schriften, die vermutlich nach seinem
Rückzug von der Ordensleitung entstanden sind, darunter auch dem das Theo-
logiestudium betreffenden Brief an Antonius, gab er sowohl den Ordensoberen
wie auch allen Brüdern verbindliche Anweisungen.19 Besonders plastisch er-
scheint die Spannung zwischen der gelebten humilitas und dem Anspruch auf
13 Gian Luca Potestä, I Francescani e la Bibbia nel '200, Bologna 1994, S. 9.
14 Harold Goad, Franciscan Italy, London 1926, S. 187; Niklaus Kuster, Was Franziskus und
Klara von Assisi verbindet. Neuere Interpretationen zwischen unzertrennlicher Freund-
schaft und brüderlichem Desinteresse, in: Franziskus von Assisi (wie Anm. 9), S. 195-212,
hier S. 204. Im Gegensatz dazu weist Bartoli auf Thomas von Celano hin, der die Freund-
schaft der beiden betonte, Marco Bartoli, Chiara d'Assisi (Bibliotheca seraphico-capuccina
37), Rom 1989, S. 64. Ähnlich argumentiert Anton Rotzetter, Franziskus und Klara. An-
merkungen zu einem befremdenden Ritual des Heiligen Franz (II Cel 207), in: Franziskus
von Assisi (wie Anm. 9), S. 213-225, hier S. 213, S. 221.
15 Daniela Müller, Franziskus und der Katharismus. Gemeinsamkeiten und Differenzen im
Natur- und Erlösungsverständnis, in: Franziskus von Assisi (wie Anm. 9), S. 141-161, hier
S. 154-161.
16 Giulia Barone, Elias von Cortona und Franziskus, in: Franziskus von Assisi (wie Anm. 9),
S. 183-194, hier S. 185. Kurt-Viktor Selge, Franz von Assisi und Hugolino von Ostia, in: San
Francesco nella ricerca storica (wie Anm. 1), S. 157-222, hier S. 197-199.
17 Thomas von Celano, Vita prima, in: Fontes Franciscani, hg. von Enrico MENESTÖ/Stefano
Brufani, Assisi 1995, S. 275-424, hier S. 311; Actus s. Francisci et sociorum eius, ebd.,
S. 2085-2219, hier S. 2114.
18 John Moorman, Saint Francis of Assisi, London 1950, S. 36: humilitas als bedeutendste
Qualität des Franz.
19 Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17), Epistola ad custodes I, S. 65-
66; Epistola ad custodes II, ebd. S. 69; Epistola ad quendam ministrum, ebd., S. 95-96; Epis-
tola toti ordini missa, ebd. S. 99-104; Epistola ad sanctum Antonium, ebd., S. 55.
kenntnissen,13 als frauenfeindlichen Mann mit auffälligem Desinteresse an Klara
und ihren Schwestern,14 beeinflusst vom Katharismus15 und schließlich als den
gescheiterten und sogar verratenen Ordensgründer, der sich bereits 1220 desil-
lusioniert von der Leitung der von ihm gegründeten Gemeinschaft zurückzog,
um fortan als Bußprediger und Eremit im Kreis einer kleinen Gruppe von Ge-
fährten zu leben.16
Als Person eher unscheinbar arbeitete Francesco Bernardone mit unglaubli-
cher Beständigkeit und mit charismatischer Ausstrahlung an seiner Rolle als
Bußprediger und überzeugte viele Zeitgenossen durch die Perfektion seiner
Christusnachfolge, durch seine humilitas, seinen unbedingten Gehorsam und
seine totale Ablehnung allen Besitzes.17 Dabei war sein Verhalten durchaus nicht
frei von Widersprüchen. Der Ordensgründer, der seine Verantwortung als
Haupt der Gemeinschaft nach seiner Rückkehr aus Ägypten abgab und der nie
müde wurde, seine Demut unter Beweis zu stellen, betrachtete es noch 1223 als
sein Recht, die Normen des entstehenden Ordens festzusetzen.18 In der Epistola
toti ordini missa wie auch in anderen Schriften, die vermutlich nach seinem
Rückzug von der Ordensleitung entstanden sind, darunter auch dem das Theo-
logiestudium betreffenden Brief an Antonius, gab er sowohl den Ordensoberen
wie auch allen Brüdern verbindliche Anweisungen.19 Besonders plastisch er-
scheint die Spannung zwischen der gelebten humilitas und dem Anspruch auf
13 Gian Luca Potestä, I Francescani e la Bibbia nel '200, Bologna 1994, S. 9.
14 Harold Goad, Franciscan Italy, London 1926, S. 187; Niklaus Kuster, Was Franziskus und
Klara von Assisi verbindet. Neuere Interpretationen zwischen unzertrennlicher Freund-
schaft und brüderlichem Desinteresse, in: Franziskus von Assisi (wie Anm. 9), S. 195-212,
hier S. 204. Im Gegensatz dazu weist Bartoli auf Thomas von Celano hin, der die Freund-
schaft der beiden betonte, Marco Bartoli, Chiara d'Assisi (Bibliotheca seraphico-capuccina
37), Rom 1989, S. 64. Ähnlich argumentiert Anton Rotzetter, Franziskus und Klara. An-
merkungen zu einem befremdenden Ritual des Heiligen Franz (II Cel 207), in: Franziskus
von Assisi (wie Anm. 9), S. 213-225, hier S. 213, S. 221.
15 Daniela Müller, Franziskus und der Katharismus. Gemeinsamkeiten und Differenzen im
Natur- und Erlösungsverständnis, in: Franziskus von Assisi (wie Anm. 9), S. 141-161, hier
S. 154-161.
16 Giulia Barone, Elias von Cortona und Franziskus, in: Franziskus von Assisi (wie Anm. 9),
S. 183-194, hier S. 185. Kurt-Viktor Selge, Franz von Assisi und Hugolino von Ostia, in: San
Francesco nella ricerca storica (wie Anm. 1), S. 157-222, hier S. 197-199.
17 Thomas von Celano, Vita prima, in: Fontes Franciscani, hg. von Enrico MENESTÖ/Stefano
Brufani, Assisi 1995, S. 275-424, hier S. 311; Actus s. Francisci et sociorum eius, ebd.,
S. 2085-2219, hier S. 2114.
18 John Moorman, Saint Francis of Assisi, London 1950, S. 36: humilitas als bedeutendste
Qualität des Franz.
19 Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17), Epistola ad custodes I, S. 65-
66; Epistola ad custodes II, ebd. S. 69; Epistola ad quendam ministrum, ebd., S. 95-96; Epis-
tola toti ordini missa, ebd. S. 99-104; Epistola ad sanctum Antonium, ebd., S. 55.