438 I Mirko Breitenstein und Jörg Sonntag
gebracht habe. Auch dieses beeindruckend unerhörte Werk hatte in der Ge-
schichte keine Chance.9
Wie kreativ und innovativ also konnte ein Mönch, ein Bischof, oder ein König
im Mittelalter wirklich sein? Eine simple, aber spannende, sicher nicht allge-
mein, sondern nur für den konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage.
So scheint es ein fundamentaler Unterschied zu sein, ob es sich bei den Inno-
vationen um technische Neuerungen handelte oder aber um innovative Staats-
und Rechtsmodelle und andere neuartige Ideenwelten. Während technische
Innovationen, die für alle sichtbar von hohem Nutzen waren, durch ihre Fakti-
zität tendenziell keiner zusätzlichen Legitimation bedurften, scheint das für
Theorien und deren Umsetzungen anders zu sein. Das Rad infrage zu stellen,
fällt schwerer als das maßgeblich durch Orden entwickelte parlamentarische
System.10
Wichtige Innovationen bedurften hier vor allem der Rückbindung an die
Tradition. Als Beispiel möchten wir nur die Rituale des Klosterlebens benen-
nen, in deren Kontext innovative Verheiligungstechniken entwickelt wurden.
So extrahierte man beispielsweise spezifische Bausteine biblischer und außerbi-
blischer Rollenmodelle in höchst kreativer Weise zu neuen hybriden Imitati-
onsclustern. Man wusch die Füße wie und als Christus, Maria von Bethanien,
Maria Magdalena, Joseph und Abraham. Man aß wie Adam und Eva, Elias, die
Kinder im Feuerofen etc.11 Was in klösterlichen Ritualen schon des 10. Jahr-
hunderts mit solchen arrangierten Imitationsclustern entstand, waren tatsäch-
lich institutionelle Phantome, künstliche Zwischenstationen einer symboli-
schen Ordnung, an denen man sich rituell orientierte. Ja, zugunsten der
Selbstfindung führte man das Leben von bisweilen künstlichen Anderen. Sol-
che Identität stiftenden und kommunizierenden Imitationscluster, innovative
Neukombinierungen von Bewährtem also, bedurften im Rahmen der schon
von Max Weber beschriebenen Dauerreform des Mönchtums ständig neuer
Legitimationen und Transformationen.
9 Außerhalb Pontignys scheint dieser faszinierende Kommentar völlig unbekannt gewesen zu
sein. Siehe die Sermones in Regulam s. Benedicti. Ein zisterziensischer Regelkommentar aus
Pontigny, hg. von Jörg Sonntag (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Le-
bens im Mittelalter. Editionen 6), Berlin 2016.
10 Vgl. dazu u. a. Gert Melville, Systemrationalität und der dominikanische Erfolg im Mittel-
alter, in: Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer
Interaktion im Mittelalter, hg. von Alois HAHN/Gert MELVILLE/Werner Röcke, Berlin
2006, S. 157-171.
11 Siehe dazu ausführlich Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symboli-
sches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel,
Regel und Gewohnheit (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im
Mittelalter. Abhandlungen 35), Berlin 2008.
gebracht habe. Auch dieses beeindruckend unerhörte Werk hatte in der Ge-
schichte keine Chance.9
Wie kreativ und innovativ also konnte ein Mönch, ein Bischof, oder ein König
im Mittelalter wirklich sein? Eine simple, aber spannende, sicher nicht allge-
mein, sondern nur für den konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage.
So scheint es ein fundamentaler Unterschied zu sein, ob es sich bei den Inno-
vationen um technische Neuerungen handelte oder aber um innovative Staats-
und Rechtsmodelle und andere neuartige Ideenwelten. Während technische
Innovationen, die für alle sichtbar von hohem Nutzen waren, durch ihre Fakti-
zität tendenziell keiner zusätzlichen Legitimation bedurften, scheint das für
Theorien und deren Umsetzungen anders zu sein. Das Rad infrage zu stellen,
fällt schwerer als das maßgeblich durch Orden entwickelte parlamentarische
System.10
Wichtige Innovationen bedurften hier vor allem der Rückbindung an die
Tradition. Als Beispiel möchten wir nur die Rituale des Klosterlebens benen-
nen, in deren Kontext innovative Verheiligungstechniken entwickelt wurden.
So extrahierte man beispielsweise spezifische Bausteine biblischer und außerbi-
blischer Rollenmodelle in höchst kreativer Weise zu neuen hybriden Imitati-
onsclustern. Man wusch die Füße wie und als Christus, Maria von Bethanien,
Maria Magdalena, Joseph und Abraham. Man aß wie Adam und Eva, Elias, die
Kinder im Feuerofen etc.11 Was in klösterlichen Ritualen schon des 10. Jahr-
hunderts mit solchen arrangierten Imitationsclustern entstand, waren tatsäch-
lich institutionelle Phantome, künstliche Zwischenstationen einer symboli-
schen Ordnung, an denen man sich rituell orientierte. Ja, zugunsten der
Selbstfindung führte man das Leben von bisweilen künstlichen Anderen. Sol-
che Identität stiftenden und kommunizierenden Imitationscluster, innovative
Neukombinierungen von Bewährtem also, bedurften im Rahmen der schon
von Max Weber beschriebenen Dauerreform des Mönchtums ständig neuer
Legitimationen und Transformationen.
9 Außerhalb Pontignys scheint dieser faszinierende Kommentar völlig unbekannt gewesen zu
sein. Siehe die Sermones in Regulam s. Benedicti. Ein zisterziensischer Regelkommentar aus
Pontigny, hg. von Jörg Sonntag (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Le-
bens im Mittelalter. Editionen 6), Berlin 2016.
10 Vgl. dazu u. a. Gert Melville, Systemrationalität und der dominikanische Erfolg im Mittel-
alter, in: Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer
Interaktion im Mittelalter, hg. von Alois HAHN/Gert MELVILLE/Werner Röcke, Berlin
2006, S. 157-171.
11 Siehe dazu ausführlich Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symboli-
sches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel,
Regel und Gewohnheit (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im
Mittelalter. Abhandlungen 35), Berlin 2008.