Innovationen und kreative Impulse 1 439
Wie die Herausgeberinnen dieses Bandes zu Recht betonen - und dies korre-
liert wiederum eng mit der Kategorie der Akzeptanz - ist es gerade das Prozess-
hafte, das Innovationen für Historiker (und nicht nur sie) als Analysekategorie
so interessant macht. Nicht selten erwuchs aus einer Innovation die nächste: Wir
blicken auf Innovationsketten. Neue Formen von Gemeinschaft bedurften auch
neuer Organisationsmodelle. Die Wilhelmiten etwa waren innovativ, weil sie die
innovative Verfassung der Zisterzienser mit der innovativen Verfassung der Do-
minikaner völlig neuartig kombinierten.12 Und nur wer sich selbst als Indivi-
duum erkannte, konnte sich auch um sein Gewissen sorgen - ebenfalls eine aus
der vita religiosa erwachsene und bis in die Gegenwart prägende Innovation.13
Dieses Phänomen wird abermals komplexer, wenn etwa die Klöster, Städte
und Höfe gerade nicht als in sich geschlossene Labore, sondern als sich über
Dynastien, politische und wirtschaftliche Interessen oder aber schlicht die Su-
che nach Gott überschneidende Segmente begriffen werden. Auch hier werden
Prozesse angesprochen, namentlich solche des Transfers. Beispielhaft sei des-
halb zum in den Beiträgen Diskutierten das Phänomen des Spiels angefügt:
Spiele nämlich bieten, auch aufgrund ihrer anthropologisch grundgelegten
Allgegenwart, eine ausgezeichnete Möglichkeit, das komplexe Kommunikati-
onsnetzwerk zwischen den Lebensbereichen der mittelalterlichen Gesellschaft
in seinen Funktionsweisen zu analysieren. Ein besonders prägnanter Fall scheint
etwa das Tennisspiel zu sein, das als gewaltträchtiges Fußballspiel von französi-
schen Klöstern des 12. Jahrhunderts adaptiert und dort - ganz dem klösterlichen
Ethos von Unblutigkeit und Regeltreue verpflichtet - zu einem gewaltfreien
Rückschlagspiel umgewandelt wurde.14 Dies war ohne Zweifel eine Innovation
mit Nachhaltigkeit: Rasch gelangte dieses Spiel an die Höfe des Adels, wo man
ganze Klosterkreuzgänge nachbaute, um Tennis zu spielen. Tennis erhielt dabei
freilich völlig neue soziale Konnotationen. Es wurde unter anderem zum Aus-
weis adligen Wettbewerbs und vor allem eines hohen Sozialprestiges. Von den
12 Siehe jüngst dazu Die Statuten der Wilhelmiten (1251-1348). Zeugnisse der Verfassung eines
europäischen Ordens. Edition und Übersetzung, hg. von Jörg Sonntag (Klöster als Innova-
tionslabore 5), Regensburg 2019.
13 Vgl. Mirko Breitenstein, Vier Arten des Gewissens. Spuren eines Ordnungsschemas vom
Mittelalter bis in die Moderne, mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum
(Klöster als Innovationslabore 4), Regensburg 2017; Ders., Das 'Buch des Gewissens'. Zum
Gebrauch einer Metapher in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Revue d'Histoire Ecclesias-
tique 14 (2019), S. 150-223; Ders., Die Hölle im Menschen. Von der Wirkmacht des schlech-
ten Gewissens, in: Die Wirkmacht klösterlichen Lebens. Modelle, Ordnungen, Kompeten-
zen, Konzepte, hg. von DEMS./Gert Melville (Klöster als Innovationslabore 6), Regensburg
2020, S. 13-32.
14 Siehe dazu vor allem Heiner Gillmeister, Tennis. A Cultural History, Sheffield 2017,
S. 1-32.
Wie die Herausgeberinnen dieses Bandes zu Recht betonen - und dies korre-
liert wiederum eng mit der Kategorie der Akzeptanz - ist es gerade das Prozess-
hafte, das Innovationen für Historiker (und nicht nur sie) als Analysekategorie
so interessant macht. Nicht selten erwuchs aus einer Innovation die nächste: Wir
blicken auf Innovationsketten. Neue Formen von Gemeinschaft bedurften auch
neuer Organisationsmodelle. Die Wilhelmiten etwa waren innovativ, weil sie die
innovative Verfassung der Zisterzienser mit der innovativen Verfassung der Do-
minikaner völlig neuartig kombinierten.12 Und nur wer sich selbst als Indivi-
duum erkannte, konnte sich auch um sein Gewissen sorgen - ebenfalls eine aus
der vita religiosa erwachsene und bis in die Gegenwart prägende Innovation.13
Dieses Phänomen wird abermals komplexer, wenn etwa die Klöster, Städte
und Höfe gerade nicht als in sich geschlossene Labore, sondern als sich über
Dynastien, politische und wirtschaftliche Interessen oder aber schlicht die Su-
che nach Gott überschneidende Segmente begriffen werden. Auch hier werden
Prozesse angesprochen, namentlich solche des Transfers. Beispielhaft sei des-
halb zum in den Beiträgen Diskutierten das Phänomen des Spiels angefügt:
Spiele nämlich bieten, auch aufgrund ihrer anthropologisch grundgelegten
Allgegenwart, eine ausgezeichnete Möglichkeit, das komplexe Kommunikati-
onsnetzwerk zwischen den Lebensbereichen der mittelalterlichen Gesellschaft
in seinen Funktionsweisen zu analysieren. Ein besonders prägnanter Fall scheint
etwa das Tennisspiel zu sein, das als gewaltträchtiges Fußballspiel von französi-
schen Klöstern des 12. Jahrhunderts adaptiert und dort - ganz dem klösterlichen
Ethos von Unblutigkeit und Regeltreue verpflichtet - zu einem gewaltfreien
Rückschlagspiel umgewandelt wurde.14 Dies war ohne Zweifel eine Innovation
mit Nachhaltigkeit: Rasch gelangte dieses Spiel an die Höfe des Adels, wo man
ganze Klosterkreuzgänge nachbaute, um Tennis zu spielen. Tennis erhielt dabei
freilich völlig neue soziale Konnotationen. Es wurde unter anderem zum Aus-
weis adligen Wettbewerbs und vor allem eines hohen Sozialprestiges. Von den
12 Siehe jüngst dazu Die Statuten der Wilhelmiten (1251-1348). Zeugnisse der Verfassung eines
europäischen Ordens. Edition und Übersetzung, hg. von Jörg Sonntag (Klöster als Innova-
tionslabore 5), Regensburg 2019.
13 Vgl. Mirko Breitenstein, Vier Arten des Gewissens. Spuren eines Ordnungsschemas vom
Mittelalter bis in die Moderne, mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum
(Klöster als Innovationslabore 4), Regensburg 2017; Ders., Das 'Buch des Gewissens'. Zum
Gebrauch einer Metapher in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Revue d'Histoire Ecclesias-
tique 14 (2019), S. 150-223; Ders., Die Hölle im Menschen. Von der Wirkmacht des schlech-
ten Gewissens, in: Die Wirkmacht klösterlichen Lebens. Modelle, Ordnungen, Kompeten-
zen, Konzepte, hg. von DEMS./Gert Melville (Klöster als Innovationslabore 6), Regensburg
2020, S. 13-32.
14 Siehe dazu vor allem Heiner Gillmeister, Tennis. A Cultural History, Sheffield 2017,
S. 1-32.