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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0043
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Überblickskommentar, Kapitel 1.1: Motivation und Entstehung 17

sungen die apologetisch-tendenzielle Verwendung historischer, rein wissen-
schaftlich gewonnener Erkenntnisse kennen“ (Figl 1984, 85).
Während Strauß’ Werk Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet
(1864) für die geistige Entwicklung N.s während seiner Studienzeit eine we-
sentliche Rolle spielte, fühlte sich der Basler Philologie-Professor N. Jahre spä-
ter bei der Lektüre von Strauß’ Altersschrift Der alte und der neue Glaube. Ein
Bekenntniß (1872) durch den nonchalanten Gestus provoziert, in dem Strauß
das Christentum durch eine kulturphiliströse, fortschrittsoptimistische Univer-
salreligion zu ersetzen gedachte. Darüber hinaus könnte N.s radikale Attacke
auf Strauß in UBI DS zumindest teilweise auch als Versuch interpretiert wer-
den, zu einem Autor auf Distanz zu gehen, der ihm selbst vielleicht in man-
cherlei Hinsicht allzu nahe schien. - Im Rückblick auf die unterschiedlichen
Schaffensphasen von David Friedrich Strauß äußert N. Sympathie für den frü-
heren Strauß als „wackeren, strengen und straffgeschürzten Gelehrten“, der
mit ernsthaftem Engagement „der Wahrheit dient“, sich jedoch fundamental
von dem Autor unterscheide, der „jetzt in der öffentlichen Meinung als David
Strauß berühmt ist“; aus der Überzeugung, den früheren mit dem späteren
Strauß nicht identifizieren zu können, erklärt N.: er „ist ein anderer geworden“
(zitiert nach Janz 1978, Bd. 1, 559-560).
Zweifellos ist der hohe Bekanntheitsgrad, den David Friedrich Strauß
längst durch seine revolutionären theologischen Positionen erlangt hatte, als
ein zentrales Motiv für N.s Pamphlet anzusehen. Auch indem N. den Autor der
Schrift Der alte und der neue Glaube als „Bildungsphilister“ etikettierte (165-
168, 171-173), versuchte er eine skandalträchtige Aufmerksamkeit auf sich zu
ziehen. - N.s Affronts in UB I DS beschränken sich übrigens nicht auf David
Friedrich Strauß, das Hauptziel seiner Attacken. Darüber hinaus wählte N. in
dieser Schrift auch die Hegelianer generell und den bekannten „Aesthetiker
aus der Hegel’schen Vernünftigkeits-Schule“ (171, 30-31), den mit Strauß be-
freundeten Friedrich Theodor Vischer speziell (171, 30 - 173, 26), als Zielschei-
be für polemische Bemerkungen. Auch gegen Wilhelm Heinrich Riehl (175, 34),
Georg Gottfried Gervinus (181, 11-12, 17, 33-34), Berthold Auerbach (222, 22-25)
und Eduard Devrient (222, 25-27) richtete sich N.s Kritik in UB I DS.
Übrigens praktiziert N. später in UB II HL eine ähnliche Strategie: Hier
greift er im 9. Kapitel das Erfolgsbuch von Eduard von Hartmann an: sein 1869
erschienenes Werk Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschau-
ung. Für N. als Schopenhauer-Anhänger bot sich im Zusammenhang mit
Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewußten die zeitgenössische Pessi-
mismus-Debatte als größerer Resonanzraum für seine Polemik an (vgl. dazu
das Kapitel II.2 des Überblickskommentars zu UB II HL). Wie bereits im Falle
von David Friedrich Strauß’ ANG in UB I DS ergibt sich später bei der Konzep-
 
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