Überblickskommentar, Kapitel 1.3: Quellen 23
sprochene Sammlung von Stilproben vorlegen; vielleicht würde sie Schopen-
hauer ganz allgemein betiteln: ,Neue Belege für den Lumpen-Jargon der Jetzt-
zeit“4 (227, 30 - 228,1). Schon durch diesen hypothetischen Titel begibt sich N.
mit seiner auf Strauß’ ANG zielenden Sprachkritik ausdrücklich in eine Scho-
penhauer-Nachfolge. Dabei rekurriert er sogar wörtlich auf Schopenhauers
nachgelassene sprachkritische Materialien zu einer Abhandlung über den argen
Unfug, der in jetziger Zeit mit der deutschen Sprache getrieben wird. Hier formu-
liert Schopenhauer die negative Zukunftsprognose: „Von den Schreibern dieses
Zeitalters wird nichts auf die Nachwelt kommen, als bloß ihr Sprachverderb; -
weil dieser sich forterbt, wie die Syphilis [...]. Wenn dies so seinen Fortgang
hat, so wird man Ao. 1900 die deutschen Klassiker nicht mehr recht verstehen,
indem man keine andere Sprache mehr kennen wird, als den Lumpen-Jargon
nobler Jetztzeit4, - deren Grundcharakterzug Impotenz ist. Weil sie nichts An-
deres können, wollen sie die Sprache verhunzen.44 (Aus Arthur Schopenhauers
handschriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und
Fragmente, 1864, 58.)
Wie weitgehend sich N. im 12. Kapitel von UBI DS am sprachkritischen
Duktus Schopenhauers orientiert, ist daran zu erkennen, dass er hier sowohl
den polemischen Gestus als auch die Detailliertheit von Schopenhauers Stilkri-
tik für seine Polemik gegen David Friedrich Strauß übernimmt. Ganz analog
zu Schopenhauer wählt hier auch N. die Strategie, seine Sprachkritik durch
eine Vielzahl von Beispielen zu veranschaulichen. Solche Exemplifikationen
finden sich in Schopenhauers Text „lieber Schriftstellerei und Stil44, dem
23. Kapitel seiner Parerga und Paralipomena II. Hier bietet Schopenhauer in
kritischer Auseinandersetzung mit pseudophilosophischen Depravationen des
Stils und mit Sprachschnitzern, die er im zeitgenössischen Journalismus diag-
nostiziert, eine ausführliche Sprach- und Stilkritik, in der er auch eine Vielzahl
von Beispielen präsentiert (PP II, Kap. 23, §§ 272-289, Hü 532-587). In den
nachgelassenen Materialien zu einer Abhandlung über den argen Unfug, der in
jetziger Zeit mit der deutschen Sprache getrieben wird exemplifiziert Schopen-
hauer seine polemischen Thesen ebenfalls durch eine Fülle von Belegen. So-
wohl bei Schopenhauer als auch bei N. ist die Sprach- und Stilkritik in einem
umfassenderen Horizont von kulturkritischen Reflexionen situiert. (Zu N.s Po-
lemik gegen das Diktat der „öffentlichen Meinung44 und zu seiner Kritik am
Journalismus vgl. NK159, 2 und NK 222, 4-13.)
Und fünftens schließlich ist darüber hinaus auch N.s programmatisches
Ideal der ,Unzeitgemäßheit4, das in einem komplementären Verhältnis zu sei-
ner kritischen Diagnose der Gegenwart steht, maßgeblich von Auffassungen
Schopenhauers geprägt. Wie weitgehend das nicht nur für UB I DS, sondern
für alle vier Unzeitgemässen Betrachtungen konstitutive Postulat der ,Unzeitge-
sprochene Sammlung von Stilproben vorlegen; vielleicht würde sie Schopen-
hauer ganz allgemein betiteln: ,Neue Belege für den Lumpen-Jargon der Jetzt-
zeit“4 (227, 30 - 228,1). Schon durch diesen hypothetischen Titel begibt sich N.
mit seiner auf Strauß’ ANG zielenden Sprachkritik ausdrücklich in eine Scho-
penhauer-Nachfolge. Dabei rekurriert er sogar wörtlich auf Schopenhauers
nachgelassene sprachkritische Materialien zu einer Abhandlung über den argen
Unfug, der in jetziger Zeit mit der deutschen Sprache getrieben wird. Hier formu-
liert Schopenhauer die negative Zukunftsprognose: „Von den Schreibern dieses
Zeitalters wird nichts auf die Nachwelt kommen, als bloß ihr Sprachverderb; -
weil dieser sich forterbt, wie die Syphilis [...]. Wenn dies so seinen Fortgang
hat, so wird man Ao. 1900 die deutschen Klassiker nicht mehr recht verstehen,
indem man keine andere Sprache mehr kennen wird, als den Lumpen-Jargon
nobler Jetztzeit4, - deren Grundcharakterzug Impotenz ist. Weil sie nichts An-
deres können, wollen sie die Sprache verhunzen.44 (Aus Arthur Schopenhauers
handschriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und
Fragmente, 1864, 58.)
Wie weitgehend sich N. im 12. Kapitel von UBI DS am sprachkritischen
Duktus Schopenhauers orientiert, ist daran zu erkennen, dass er hier sowohl
den polemischen Gestus als auch die Detailliertheit von Schopenhauers Stilkri-
tik für seine Polemik gegen David Friedrich Strauß übernimmt. Ganz analog
zu Schopenhauer wählt hier auch N. die Strategie, seine Sprachkritik durch
eine Vielzahl von Beispielen zu veranschaulichen. Solche Exemplifikationen
finden sich in Schopenhauers Text „lieber Schriftstellerei und Stil44, dem
23. Kapitel seiner Parerga und Paralipomena II. Hier bietet Schopenhauer in
kritischer Auseinandersetzung mit pseudophilosophischen Depravationen des
Stils und mit Sprachschnitzern, die er im zeitgenössischen Journalismus diag-
nostiziert, eine ausführliche Sprach- und Stilkritik, in der er auch eine Vielzahl
von Beispielen präsentiert (PP II, Kap. 23, §§ 272-289, Hü 532-587). In den
nachgelassenen Materialien zu einer Abhandlung über den argen Unfug, der in
jetziger Zeit mit der deutschen Sprache getrieben wird exemplifiziert Schopen-
hauer seine polemischen Thesen ebenfalls durch eine Fülle von Belegen. So-
wohl bei Schopenhauer als auch bei N. ist die Sprach- und Stilkritik in einem
umfassenderen Horizont von kulturkritischen Reflexionen situiert. (Zu N.s Po-
lemik gegen das Diktat der „öffentlichen Meinung44 und zu seiner Kritik am
Journalismus vgl. NK159, 2 und NK 222, 4-13.)
Und fünftens schließlich ist darüber hinaus auch N.s programmatisches
Ideal der ,Unzeitgemäßheit4, das in einem komplementären Verhältnis zu sei-
ner kritischen Diagnose der Gegenwart steht, maßgeblich von Auffassungen
Schopenhauers geprägt. Wie weitgehend das nicht nur für UB I DS, sondern
für alle vier Unzeitgemässen Betrachtungen konstitutive Postulat der ,Unzeitge-