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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0129
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Stellenkommentar UB I DS 2, KSA 1, S. 169 103

re Ehre, unseren Sporn sehen“ (KSA 1, 307,17-23). Den Zusammenhang mit der
Problematik des Historismus beleuchtet N. in UB II HL folgendermaßen: „die
Historie muss das Problem der Historie selbst auflösen“: Darin liegt „der Im-
perativ des Geistes der ,neuen Zeit4, falls in ihr wirklich etwas Neues, Mächti-
ges, Lebenverheissendes und Ursprüngliches ist“ (KSA 1, 306, 9-13).
169, 20-23 suchten alle Wissenschaften [...] in historische Disciplinen umzu-
wandeln, zumal die Philosophie und die classische Philologie] N. nimmt an die-
ser Stelle auf den Historismus des 19. Jahrhunderts Bezug, dessen Problematik
er besonders ausführlich in UB II HL reflektiert.
169, 23-26 Durch das historische Bewusstsein retteten sie sich vor dem Enthusi-
asmus - denn nicht mehr als diesen sollte die Geschichte erzeugen, wie doch
Goethe vermeinen durfte] Hier bezieht sich N. auf einen Aphorismus, den Goe-
the in den Maximen und Reflexionen publizierte: „Das Beste was wir von der
Geschichte haben ist der Enthusiasmus den sie erregt“ (FA, Bd. 13, 41). Im Rah-
men von N.s Kulturkritik hat die Auseinandersetzung mit der Problematik des
Historismus zentrale Bedeutung. Bereits in der Geburt der Tragödie wendet sich
N. gegen die bloß ,historische4 Aneignung der Vergangenheit in „unserer jetzi-
gen gebildeten Geschichtsschreibung“ (KSA 1, 130, 15-17). In UB II HL avan-
ciert der Historismus sogar zum Hauptthema.
169, 26-28 gerade die Abstumpfung ist jetzt das Ziel dieser unphilosophischen
Bewunderer des nil admirari, wenn sie alles historisch zu begreifen suchen.] An-
spielung auf eine Aussage am Anfang von Horaz’ Epistulae (I, 6, 1): „Nil admi-
rari prope res est una, Numici, / solaque quae possit facere et servare beatum
[...]“ („Nichts in der Welt anstaunen, Numicius, dieses allein wohl, / Dieses nur
kann uns verleihn Glückseligkeit, und sie erhalten“, Übersetzung von Johann
Heinrich Voß). - Am 13. Februar 1804 äußerte sich Voß in einem Brief an B. R.
Abeken folgendermaßen über ein Gespräch über das Horazische Diktum, in
dem Goethe eine konträre Auffassung vertrat: „Am Abend dieses Tags nach
Tische mußte ich Göthen meine Übersetzung von Horazens Ep. 6 Lib. I - nil
admirari etc - vorlesen. Dies gab zu einem sehr schönen Gespräch Anlaß, das
aber Göthe beinahe allein, u. bald ganz allein führte. Er redete über den plato-
nischen Ausspruch, dass die Verwunderung die Mutter alles schönen u. guten
sei. Der ist ein Tölpel, sagte er, der sich nicht verwundern kann, auf den nicht
die ewigen Naturgesetze in Großen u. Kleinen Gegenständen - gleichviel wie
groß oder klein die Masse sei - einen mächtigen Eindruck machen“ (Goethe:
FA, Abt. II, Bd. 5, 464).
Goethe beruft sich hier auf das ,Staunen4, das ,thaumäzein4 (Oaupd^eiv) bei
Platon und Aristoteles, die das Staunen über die Phänomene der Welt zum
Ausgangspunkt philosophischer Reflexion erklären. N. hingegen transformiert
 
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