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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0138
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112 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

eher gemeine Seelen an Das streifen, was Redlichkeit ist“ (KSA 5, 44, 27-29),
und wenn er in Ecce homo seinen eigenen Werken attestiert: „sie erreichen
hier und da das Höchste, was auf Erden erreicht werden kann, den Cynismus“
(KSA 6, 302, 28-29). In diesem Sinne impliziert der Begriff ,Cynismus4 für N.
einen unkonventionellen intellektuellen Gestus von rückhaltloser Radikalität.

3.
174, 4-5 Das Recht, nach seinem vierzigsten Jahre seine Biographie zu schrei-
ben, mag Jeder haben] Hier orientiert sich N. an der folgenden Passage aus
Goethes Übertragung des Leben des Benvenuto Cellini: „Alle Menschen, von
welchem Stande sie auch seien, die etwas tugendsames, oder tugendähnliches
vollbracht haben, sollten, wenn sie sich wahrhaft guter Absichten bewußt
sind, eigenhändig ihr Leben aufsetzen; jedoch nicht eher zu einer so schönen
Unternehmung schreiten, als bis sie das Alter von vierzig Jahren erreicht ha-
ben“ (Goethe: FA, I. Abteilung, Bd. 11, S. 17). Vgl. auch den italienischen Origi-
naltext von Benvenuto Cellini: Opere, a cura di Bruno Maier, Milano 1968, 47:
„Tutti gli uomini d’ogni sorte, ehe hanno fatto qualche cosa ehe sia virtuosa,
o si veramente ehe le virtü somigli, doverieno, essendo veritieri e da bene, di
lor propia mano descrivere la loro vita; ma non si doverebbe cominciare una tal
bella impresa prima ehe passato l’etä de’ quarant’anni.“ (Leben des Benvenuto
Cellini, Florentinischen Goldschmieds und Bildhauers von ihm selbst geschrie-
ben. Übersetzt und [...] hg. von Goethe, I. Theil, 1803: Buch 1, Kap. 1, S. 9). - Im
Zusammenhang mit unterschiedlichen Bildungskonzepten geht N. in UB IIISE
ausführlicher auf Benvenuto Cellini ein. Vgl. NK 342, 17.
174, 12-15 Nun wird der eigentliche Denker zu allerletzt zu wissen wünschen,
was Alles solche Straussennaturen als ihren Glauben vertragen, und was sie über
Dinge in sich „halbträumerisch zusammengedacht haben“] Hier zitiert N. aus
Strauß’ ANG (10, 21-22): „Man denkt sich halbträumerisch im Innern etwas
zusammen“.
174,16-19 Wer hätte ein Bedürfniss nach dem Glaubensbekenntnisse eines Ran-
ke oder Mommsen, die übrigens noch ganz andere Gelehrte und Historiker sind,
als David Strauss es war] Leopold von Ranke (1795-1886), der zu den bedeu-
tendsten deutschen Historikern des 19. Jahrhunderts zählt, gilt als Begründer
einer modernen Geschichtswissenschaft, die auf Objektivität zielt, sich bei der
Darstellung historischer Prozesse zur Faktentreue verpflichtet sieht und auf
eine subjektive Bewertung geschichtlicher Ereignisse verzichtet. Rankes um-
fangreiches CEuvre umfasst 54 Bände, die sich u. a. mit der deutschen Ge-
 
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