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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0167
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Stellenkommentar UB I DS 6, KSA 1, S. 188-189 141

niz’ Monadologie von 1714 zugrunde liegt. Leibniz (1646-1716) beschreibt die
Monaden als autarke, in sich geschlossene (,fensterlose4) Entitäten ohne Bezie-
hungen zur Außenwelt, aber mit einem Bewusstsein und Vorstellungskraft.
Nach Leibniz sind die Monaden durch den Schöpfungsakt aus Gott als der
,Zentralmonade4 hervorgegangen und auf diese Weise durch eine ,prästabilier-
te Harmonie4 in einen ursprünglichen Zusammenhang integriert. - Indem N.
David Friedrich Strauß als „Centralmonade44 bezeichnet, verfolgt er eine pole-
mische Absicht: Durch ironische Inszenierung dieser kosmologischen Dimen-
sion katapultiert er Strauß in eine göttliche Position und gibt ihn dadurch der
Lächerlichkeit preis.
188, 29-30 aber „es bewegen sich in ihr nicht bloss unbarmherzige Räder, es
ergiesst sich auch linderndes Oel“] N. übernimmt die kontrastive Metaphorik
aus Strauß’ ANG 365,1-17: „Der Wegfall des Vorsehungsglaubens gehört in der
That zu den empfindlichsten Einbußen, die mit der Lossagung von dem christ-
lichen Kirchenglauben verbunden sind. Man sieht sich in die ungeheure Welt-
maschine mit ihren eisernen gezahnten Rädern, die sich sausend umschwin-
gen, ihren schweren Hämmern und Stampfen, die betäubend niederfallen, in
dieses ganze furchtbare Getriebe sieht sich der Mensch wehr- und hülflos hi-
neingestellt, keinen Augenblick sicher, bei einer unvorsichtigen Bewegung von
einem Rade gefaßt und zerrissen, von einem Hammer zermalmt zu werden.
Dieses Gefühl des Preisgegebenseins ist zunächst wirklich ein entsetzliches.
Allein was hilft es, sich darüber eine Täuschung zu machen? Unser Wunsch
gestaltet die Welt nicht um, und unser Verstand zeigt uns, daß sie in der That
eine solche Maschine ist. Doch nicht allein eine solche. Es bewegen sich in
ihr nicht blos unbarmherzige Räder, es ergießt sich auch linderndes Oel.44 -
Anschließend folgt das Zitat, das NK 196, 34 - 197, 11 wiedergibt. - In den Ex-
zerpten aus ANG (KGWIII5/1, S. 355) notiert N.: „Schmieröl“.
188, 31 dem bilderwüthigen Magister] Im „Versuch einer Selbstkritik“, den N.
1886 der neuen Ausgabe der Geburt der Tragödie von 1872 voranstellt, charak-
terisiert er seinen eigenen Stil in diesem Erstlingswerk pejorativ mit demselben
Adjektiv. Selbstkritisch erklärt N. dort, inzwischen betrachte er Die Geburt der
Tragödie als „ein unmögliches Buch, [...] schlecht geschrieben, schwerfällig,
peinlich, bilderwüthig und bilderwirrig“ (KSA 1, 14, 13-15).
189, 8-9 bei der ihm die Frage Gretchens auf den Lippen schwebt: „Er liebt
mich - liebt mich nicht - liebt mich?“] N. zitiert hier die Szene aus Goethes
Faust I, in der Margarete das Blumenorakel zu lesen versucht, indem sie die
Blütenblätter einer Sternblume abzupft, um Klarheit über Fausts Gefühle zu
erhalten (V. 3181-3184). Strategisch analogisiert N. Gretchens naives und reali-
tätsfremdes Verhalten mit einer ridikülen Maßnahme, durch die David Fried-
 
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