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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0388
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362 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

nitorisch auf Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart. Insofern unterscheiden
sich seine Zuordnungen von der Einschätzung, die Lou Andreas-Salome 1894
in ihrem Buch Friedrich Nietzsche in seinen Werken entfaltet: Sie korreliert die
drei Arten der Historie mit N.s intellektuellen Entwicklungsphasen und bringt
die ,antiquarische Historie4 mit seiner Philologen-Existenz, die ,monumentali-
sche Historie4 mit seiner Verehrung „großer Meister44 und die ,kritische Historie4
mit seiner positivistischen Schaffensphase nach den Unzeitgemässen Betrach-
tungen in Verbindung (vgl. Andreas-Salome 1894, 67-68).
Nachdem Heidegger in Sein und Zeit unter Rekurs auf UB II HL die ,monu-
mentalische Historie4 N.s durch das Potential eines Zukunftsentwurfs und die
,antiquarische Historie4 durch die „Möglichkeit der verehrenden Bewahrung
der dagewesenen Existenz“ charakterisiert hat (Heidegger 1979, 396), erklärt er
summarisch-lapidar: „Das Dasein zeitigt sich in der Einheit von Zukunft und
Gewesenheit als Gegenwart“ (ebd., 397). Im Anschluss an diese Synthese der
drei Zeitdimensionen bringt Heidegger die ,kritische Historie4 mit einer „Entge-
genwärtigung des Heute“ in Verbindung: mit dem „leidenden Sichlösen von
der verfallenden Öffentlichkeit des Heute“ (ebd., 397). Nachdem er N.s triadi-
sche Geschichtstypologie auf Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart bezogen
hat, hebt er resümierend die Einheit dieser drei Konzepte hervor: „Die monu-
mentalisch-antiquarische Historie ist als eigentliche notwendig Kritik der Ge-
genwart4. Die eigentliche Geschichtlichkeit ist das Fundament der möglichen
Einheit der drei Weisen der Historie. Der Grund des Fundaments der eigentli-
chen Historie aber ist die Zeitlichkeit als der existenziale Seinssinn der Sorge“
(ebd., 397). - Gegen Heideggers Deutung von N.s triadischer Konzeption der
Historie in Sein und Zeit wurde der Einwand erhoben, aufgrund vorschneller
Festlegungen habe Heidegger übersehen, dass „jede der drei Historien auch
alle drei Modi der Zeit umfaßt“ (vgl. Geisenhanslüke 1999, 134).
Während Heidegger seine Perspektiven auf UB II HL in Sein und Zeit auf
nur wenigen Seiten komprimiert entfaltet, finden sich in seinen späteren Auf-
zeichnungen zur Vorbereitung eines (im Wintersemester 1938/39 an der Univer-
sität Freiburg abgehaltenen) Seminars zu N.s Historienschrift umfangreichere
Darlegungen. Sie schließen zwar in einigen Aspekten thematisch an die frühe-
ren Aussagen in Sein und Zeit an, lassen Heideggers Einschätzungen aber er-
heblich differenzierter hervortreten. Von Sein und Zeit unterscheiden sich diese
Seminar-Aufzeichnungen Zur Auslegung von Nietzsches II. Unzeitgemässer Be-
trachtung ,Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben‘ dadurch, dass
sich Heidegger hier nicht darauf beschränkt, N.s Konzepte der ,Historie4 und
des ,Lebens4 deutend nachzuvollziehen und mit seiner eigenen Fundamental-
ontologie zu vermitteln. Denn zugleich setzt er sich hier auch kritisch mit
UB II HL auseinander. Heideggers eigene Notizen zur Seminarvorbereitung
 
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