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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0565
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Stellenkommentar UB II HL 8, KSA 1, S. 309-311 539

nung tragen“) erhebt N. hier sogar deren Verteidigung und Rechtfertigung zum
Thema. Eine weitere Steigerung lässt er folgen, indem er anschließend von den
„Advocaten des Teufels“ spricht. Dabei übersetzt N. den lateinischen Ausdruck
„advocatus diaboli“ und versieht ihn im Rahmen seiner Kritik an einer Fixie-
rung auf den Primat des „Thatsächlichen“ zugleich mit einer spezifischen Be-
deutung.
310, 20-21 eine solche natura naturans, wie Raffael] Gemeint ist hier die natur-
hafte Kreativität, die traditionell dem ,Genie4 zugeschrieben wurde. Aus der
Scholastik stammt die später vor allem von Spinoza weiterentwickelte Differen-
zierung zwischen der,natura naturans4, mithin der originär schöpferischen All-
natur, die man mit der Gottheit identifizierte, und der ,natura naturata4 als der
geschaffenen Natur, die aus der ,natura naturans4 hervorgegangen ist. Diese
Unterscheidung gehörte zu den traditionellen Topoi der Genie-Ideologie des
18. Jahrhunderts, in der eine Gottähnlichkeit des Genies behauptet und mit
seinem naturhaft-schöpferischen Wesen begründet wurde.
310, 22-24 Ueber Goethe hat uns neuerdings Jemand belehren wollen, dass er
mit seinen 82 Jahren sich ausgelebt habe] N. zitiert hier aus David Friedrich
Strauß’ Schrift Der alte und der neue Glaube (Leipzig 1872, 122).
310, 26-28 um noch einen Antheil an solchen Gesprächen zu haben, wie sie
Goethe mit Eckermann führte] Johann Peter Eckermanns Gespräche mit Goethe
in den letzten Jahren seines Lebens (1836-1848) gehörten zur bevorzugten Lek-
türe N.s.
311,10-14 Wäre die Geschichte überhaupt nichts weiter als „das Weltsystem von
Leidenschaft und Irrthum“, so würde der Mensch so in ihr lesen müssen, wie
Goethe den Werther zu lesen rieth, gleich als ob sie riefe: „sei ein Mann und folge
mir nicht nach!“] N. rekurriert hier sowohl auf Grillparzer als auch auf Goethe.
In der Anfangspassage von Grillparzers Studie Ueber den Nutzen des Studiums
der Geschichte, mit der sich N. beschäftigte, heißt es: „Jeder Mensch erkennt
sein Leben als eine Verkettung von Leidenschaften und Irrthümern, sieht das-
selbe in dem Leben der Andern vielleicht in verstärktem Maßstabe und doch
soll aus dem Gesammtleben der Menschheit, diesem Weltsystem von Irrthü-
mern und Leidenschaften, das Wahre hervorgehen, die Wahrheit“ (Grillparzer:
Sämmtliche Werke, Bd. 9, 1872, 35). N. adaptiert die Phrase sinngemäß, zitiert
aber ungenau, indem er die Pluralformen in Grillparzers Ausdruck „Weltsystem
von Irrthümern und Leidenschaften“ hier in den Singular transponiert und die
Reihenfolge umkehrt: „Weltsystem von Leidenschaft und Irrthum“. - In einer
früheren Passage von UB II HL hingegen übernimmt N. die Pluralform „Leiden-
schaften und Irrthümer“ exakt aus Grillparzers Text und verbindet sie mit der
 
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