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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0574
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548 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

15), übernimmt er ebenfalls aus Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbe-
wußten (1869): Auch diese Formulierung steht im Kontext einer negativen
Zeitdiagnose Eduard von Hartmanns, der eine „Nivellirung zur gediegenen Mit-
telmässigkeit hin“ glaubt feststellen zu können (Eduard von Hartmann: Philo-
sophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung, 1869, 618).
315, 8-12 zu jenem Stadium der socialen Entwickelung nämlich, in welchem je-
der Arbeiter „bei einer Arbeitszeit, die ihm jiir seine intellectuelle Ausbildung
genügende Musse lässt, ein comfortables Dasein führe“] In seiner Philosophie
des Unbewußten fügt Eduard von Hartmann im Kapitel ,Das Unbewußte in der
Geschichte4 hinzu: „oder wie man mit einem volltönenderen Ausdrucke zu sa-
gen beliebt, ein menschenwürdiges Dasein“ (1869, 296).
315,17-18 „sichtbar greift der Antichrist weiter und weiter um sich“] Auch die-
ses Zitat stammt aus Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewußten (Ab-
schnitt C, Kapitel XIII, 610). Im Kontext dieser Stelle setzt sich Hartmann kri-
tisch mit Schopenhauer auseinander: „Nur Einer ist es, der ganz und in jeder
Hinsicht mit dem Christenthume bricht und ihm jede zukünftige Bedeutung
abstreitet, - Schopenhauer, freilich nur, um in die buddhistische Askese zu-
rückzufallen, und ohne sich zu dem Gedanken der Möglichkeit eines positiven
Principes für die künftige Geschichte erheben zu können, ohne die Spur eines
Verständnisses und einer Liebe für die grossen Bestrebungen unserer Zeit, wel-
che in allen anderen neuesten Philosophen reichlich vertreten sind. Sichtbar
gewinnen die weltlichen Bestrebungen täglich an Macht, Ausdehnung und In-
teresse, sichtbar greift der Antichrist weiter und weiter um sich, und bald wird
das Christenthum nur noch ein Schatten seiner mittelalterlichen Grösse sein,
wird wieder sein, was es im Entstehen ausschließlich war, der letzte Trost für
die Armen und Elenden“.
315,19-20 auf dem besten Wege - zum Ekel an allem Daseienden] Das Motiv
des Ekels (vgl. auch 315,16 und 315, 33) verwendet N. in einem nachgelassenen
Notat aus der Entstehungszeit von UB II HL noch in einem anderen Kontext,
indem er es mit dem durch den Historismus bedingten Werterelativismus in
Verbindung bringt: „Das Historische in der Erziehung. Der junge Mensch
wird durch alle Jahrtausende gepeitscht, das wurde der Grieche und Römer
nicht. Dazu politische Geschichte für Jünglinge! Die nichts von einem Kriege,
nichts von einer Staatsaktion, von Handelspolitik, Machtfragen usw. verstehen
können! So geht der moderne Mensch durch Galerien, so hört er Concerte! Das
klingt anders als jenes, fühlt er, und das nennt er dann historisches Urtheil4. -
Die Masse ist so gross, dass Abstumpfung die Folge sein muss. Das Schreckli-
che und Barbarische dringt hinzu, im Übermaass, und wo ein feineres Bewusst-
sein da ist, muss das Gefühl eins sein: Ekel. Dazu wird der junge Mensch seiner
 
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