554 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
Belegen (auch zu Schopenhauers Selbstbild als Kaspar Hauser). Im Ecce-homo-
Kapitel „Warum ich so gute Bücher schreibe“ betont N. die eigene Unzeitge-
mäßheit, durch die er die Rezeption seiner Werke behindert sieht: „Ich selber
bin noch nicht an der Zeit, Einige werden posthum geboren“ (KSA 6, 298, 7-
8).
317, 22-26 Die Aufgabe der Geschichte ist es [...], immer wieder zur Erzeugung
des Grossen Anlass zu geben und Kräfte zu verleihen. Nein, das Ziel der Mensch-
heit kann nicht am Ende liegen, sondern nur in ihren höchsten Exemplaren] Ähn-
liche teleologische Perspektiven formuliert N. später auch in UBIIISE, und
zwar in seinem nachdrücklichen Plädoyer: „die Menschheit soll fortwährend
daran arbeiten, einzelne grosse Menschen zu erzeugen - und dies und nichts
Anderes sonst ist ihre Aufgabe“ (KSA 1, 383, 32 - 384, 2). Hier argumentiert N.
biologistisch, indem er sich implizit auf die Evolutionslehre beruft und sich
mit ihr gegen etablierte Vorstellungen wendet: Seines Erachtens kommt es bei
„einer jeden Art des Thier- und Pflanzenreichs [...] allein auf das einzelne höhe-
re Exemplar“ an: „auf das ungewöhnlichere, mächtigere, complicirtere, frucht-
barere“ (KSA 1, 384, 4-7). Diese Erkenntnis würde N. gern konsequent auch
„auf die Gesellschaft und ihre Zwecke anwenden“ (KSA 1, 384, 3), sieht sich
daran allerdings durch „anerzogne Einbildungen über den Zweck der Gesell-
schaft“ gehindert (KSA 1, 384, 8). N.s Konzept einer teleologischen Anthropolo-
gie, das seine Zielvorstellung von den „höchsten Exemplaren“ (317, 26) be-
stimmt, findet später in Also sprach Zarathustra einen markanten Ausdruck: in
der Vorstellung des Übermenschen. Vgl. auch NK 378, 22-24 und NK 382, 4-9.
Max Scheier nimmt auf die vorliegende Textpassage aus UB II HL im soge-
nannten „Nietzsche-Heft“ (Signatur der Bayerischen Staatsbibliothek Mün-
chen: Ana 315, B.I.21), einer nachgelassenen, derzeit noch nicht vollständig
publizierten Kladde, sowie in weiteren nachgelassenen Aufzeichnungen im
Zeitraum zwischen ca. 1912 und 1927 wiederholt Bezug. [Vgl. die detaillierteren
Angaben dazu (und zur Zitationsweise) im wirkungsgeschichtlichen Kapitel
II.8 des Überblickskommentars.] Schon im Nachlass-Dokument „B.III.35: Ord-
nungsmappe zur Biologie und Psychologie, 1 (undatiert, ca. 1912)“ findet sich
die an N.s Formulierung anschließende Aussage Scheiers, dass „der Wert der
Menschheit in ihren ,höchsten Exemplaren4 beruhe“ (B.III.35). Im Nachlass-
Dokument „Nietzsches ,Wahrheit‘“ in „B.I.22: Evolution, Einheit des Lebens,
32-33 (1927)“ entfaltet Scheier diese Auffassung N.s so, dass der individualisti-
sche Geistesaristokratismus dabei mit Gattungsinteressen vermittelt wird: „Die
Menschheit kann nicht direkt; sie kann nur über den Umweg ihrer ,höchsten
Exemplare4 gefördert werden. / Und das ist das unbew[ußte] Streben der in
Parteien ungeteilten Völker und Kulturkreise selbst - ihre Genien, Heilige, Hel-
den zu suchen“ (B.I.22). Das letztlich gattungsbezogene Telos eines nur zu-
Belegen (auch zu Schopenhauers Selbstbild als Kaspar Hauser). Im Ecce-homo-
Kapitel „Warum ich so gute Bücher schreibe“ betont N. die eigene Unzeitge-
mäßheit, durch die er die Rezeption seiner Werke behindert sieht: „Ich selber
bin noch nicht an der Zeit, Einige werden posthum geboren“ (KSA 6, 298, 7-
8).
317, 22-26 Die Aufgabe der Geschichte ist es [...], immer wieder zur Erzeugung
des Grossen Anlass zu geben und Kräfte zu verleihen. Nein, das Ziel der Mensch-
heit kann nicht am Ende liegen, sondern nur in ihren höchsten Exemplaren] Ähn-
liche teleologische Perspektiven formuliert N. später auch in UBIIISE, und
zwar in seinem nachdrücklichen Plädoyer: „die Menschheit soll fortwährend
daran arbeiten, einzelne grosse Menschen zu erzeugen - und dies und nichts
Anderes sonst ist ihre Aufgabe“ (KSA 1, 383, 32 - 384, 2). Hier argumentiert N.
biologistisch, indem er sich implizit auf die Evolutionslehre beruft und sich
mit ihr gegen etablierte Vorstellungen wendet: Seines Erachtens kommt es bei
„einer jeden Art des Thier- und Pflanzenreichs [...] allein auf das einzelne höhe-
re Exemplar“ an: „auf das ungewöhnlichere, mächtigere, complicirtere, frucht-
barere“ (KSA 1, 384, 4-7). Diese Erkenntnis würde N. gern konsequent auch
„auf die Gesellschaft und ihre Zwecke anwenden“ (KSA 1, 384, 3), sieht sich
daran allerdings durch „anerzogne Einbildungen über den Zweck der Gesell-
schaft“ gehindert (KSA 1, 384, 8). N.s Konzept einer teleologischen Anthropolo-
gie, das seine Zielvorstellung von den „höchsten Exemplaren“ (317, 26) be-
stimmt, findet später in Also sprach Zarathustra einen markanten Ausdruck: in
der Vorstellung des Übermenschen. Vgl. auch NK 378, 22-24 und NK 382, 4-9.
Max Scheier nimmt auf die vorliegende Textpassage aus UB II HL im soge-
nannten „Nietzsche-Heft“ (Signatur der Bayerischen Staatsbibliothek Mün-
chen: Ana 315, B.I.21), einer nachgelassenen, derzeit noch nicht vollständig
publizierten Kladde, sowie in weiteren nachgelassenen Aufzeichnungen im
Zeitraum zwischen ca. 1912 und 1927 wiederholt Bezug. [Vgl. die detaillierteren
Angaben dazu (und zur Zitationsweise) im wirkungsgeschichtlichen Kapitel
II.8 des Überblickskommentars.] Schon im Nachlass-Dokument „B.III.35: Ord-
nungsmappe zur Biologie und Psychologie, 1 (undatiert, ca. 1912)“ findet sich
die an N.s Formulierung anschließende Aussage Scheiers, dass „der Wert der
Menschheit in ihren ,höchsten Exemplaren4 beruhe“ (B.III.35). Im Nachlass-
Dokument „Nietzsches ,Wahrheit‘“ in „B.I.22: Evolution, Einheit des Lebens,
32-33 (1927)“ entfaltet Scheier diese Auffassung N.s so, dass der individualisti-
sche Geistesaristokratismus dabei mit Gattungsinteressen vermittelt wird: „Die
Menschheit kann nicht direkt; sie kann nur über den Umweg ihrer ,höchsten
Exemplare4 gefördert werden. / Und das ist das unbew[ußte] Streben der in
Parteien ungeteilten Völker und Kulturkreise selbst - ihre Genien, Heilige, Hel-
den zu suchen“ (B.I.22). Das letztlich gattungsbezogene Telos eines nur zu-