Überblickskommentar 25
Macht“ wirkmächtig. Näher besehen statuierte N. hier eher ein Exempel dafür,
dass man, wie es am Ende von JGB 34 heißt, gegenüber Subjekt, Prädikat und
Objekt „ein Wenig ironisch“ sein müsse (KSA 5, 54, 6 f.). JGB 36 enthält schwer-
lich ein Bekenntnis zum „Willen zur Macht“, sondern eine Fiktion, klar und
deutlich markiert durch das vielfache „Gesetzt, dass“ sowie durch den Kon-
junktiv II. Den Willensbegriff, den N. hier so bereitwillig benutzt und wie Scho-
penhauer als etwas unmittelbar Gegebenes einführt, hatte ja bereits JGB 19
abgetan (vgl. FW 99, KSA 3, 454, 10 f.).
N.s Selbstzeugnisse verschleiern eher als dass sie klärten, was JGB sein soll
und sein will. Mitunter sind diese Einschätzungen geradezu kontradiktorisch.
Ist auch das Ausdruck eines Willens zum Ungewissen, den N. nicht als Gegen-
satz zum „Willen zum Wissen“ auffasst (KSA 5, 41, 18 f.) ? Das Versucherische
schwingt stets mit, denn die „höchsten Einsichten müssen — und sollen! —
wie Thorheiten, unter Umständen wie Verbrechen klingen“ (JGB 30, KSA 5, 48,
11 f.), wenn sie auf falsche Ohren treffen. JGB 42 stellt für die „neue Gattung
von Philosophen“, die sich ankündige, aber noch nicht verwirklicht sei, in Aus-
sicht, dass sie das „Recht“ haben würde, „als Versucher bezeichnet zu wer-
den“ (KSA 5, 59). Der temptatorische Anstrich von JGB antizipiert also das
Selbstverständnis der künftigen Philosophen. JGB ist das Werk eines Denkers,
der sich als Versucher sieht und mit seinem Text und seinen Lesern gleicher-
maßen Versuche treibt — das tut er auch, indem er offen gewaltsam agiert: Der
Adressatenkreis bleibt offen, denn je nach Versuchsanordnung sind Reaktio-
nen jedweder Art möglich.
Aphorismen oder zu thematischen Ketten gereihte Kürzest-Essays (vgl.
Bergmann 1987, 160 f. sowie Nehamas 1988, 47 u. 66) sind die Bausteine der
JGB-Hauptstücke — mit Ausnahme des vierten (hier sind es Sentenzen und
,reine4 Aphorismen, d. h. ko- und kontextuell isolierte Einzelkurztexte, die sich
seltener zu thematischen Ketten fügen) sowie des Gedichts „Aus hohen Bergen.
Nachgesang“. Der Aphorismus Nietzschescher Prägung kann verstören, weil er
nichts gültig und letztlich erklärt (vgl. z. B. Strong 1975, 132-134), obwohl er
durchaus partiell argumentativ verfährt. „For it is one of the most striking fea-
tures of reading Nietzsche [...] that he is both very striking and strangely unme-
morable. [...] Since aphorisms are related non-linearly, one can’t retrace them,
as one can an argument, by recalling the Steps in it. And if the effect is, as so
offen, one of dazzlement, that’s all the more likely to lead to forgetfulness.“
(Tanner 1986, 200) Sollte der Erinnerungseffekt von Aphorismen tatsächlich so
gering sein, dann wäre es, ließe sich Tanners Überlegung weiterführen, nicht
erstaunlich, dass man N. meinte auf Lehren festlegen zu müssen - und zwar
gerade in JGB —, um seiner habhaft zu werden. Könnte N. auf die thematische
Gruppierung und die Durchbrechung der aphoristischen Isolation verfallen
Macht“ wirkmächtig. Näher besehen statuierte N. hier eher ein Exempel dafür,
dass man, wie es am Ende von JGB 34 heißt, gegenüber Subjekt, Prädikat und
Objekt „ein Wenig ironisch“ sein müsse (KSA 5, 54, 6 f.). JGB 36 enthält schwer-
lich ein Bekenntnis zum „Willen zur Macht“, sondern eine Fiktion, klar und
deutlich markiert durch das vielfache „Gesetzt, dass“ sowie durch den Kon-
junktiv II. Den Willensbegriff, den N. hier so bereitwillig benutzt und wie Scho-
penhauer als etwas unmittelbar Gegebenes einführt, hatte ja bereits JGB 19
abgetan (vgl. FW 99, KSA 3, 454, 10 f.).
N.s Selbstzeugnisse verschleiern eher als dass sie klärten, was JGB sein soll
und sein will. Mitunter sind diese Einschätzungen geradezu kontradiktorisch.
Ist auch das Ausdruck eines Willens zum Ungewissen, den N. nicht als Gegen-
satz zum „Willen zum Wissen“ auffasst (KSA 5, 41, 18 f.) ? Das Versucherische
schwingt stets mit, denn die „höchsten Einsichten müssen — und sollen! —
wie Thorheiten, unter Umständen wie Verbrechen klingen“ (JGB 30, KSA 5, 48,
11 f.), wenn sie auf falsche Ohren treffen. JGB 42 stellt für die „neue Gattung
von Philosophen“, die sich ankündige, aber noch nicht verwirklicht sei, in Aus-
sicht, dass sie das „Recht“ haben würde, „als Versucher bezeichnet zu wer-
den“ (KSA 5, 59). Der temptatorische Anstrich von JGB antizipiert also das
Selbstverständnis der künftigen Philosophen. JGB ist das Werk eines Denkers,
der sich als Versucher sieht und mit seinem Text und seinen Lesern gleicher-
maßen Versuche treibt — das tut er auch, indem er offen gewaltsam agiert: Der
Adressatenkreis bleibt offen, denn je nach Versuchsanordnung sind Reaktio-
nen jedweder Art möglich.
Aphorismen oder zu thematischen Ketten gereihte Kürzest-Essays (vgl.
Bergmann 1987, 160 f. sowie Nehamas 1988, 47 u. 66) sind die Bausteine der
JGB-Hauptstücke — mit Ausnahme des vierten (hier sind es Sentenzen und
,reine4 Aphorismen, d. h. ko- und kontextuell isolierte Einzelkurztexte, die sich
seltener zu thematischen Ketten fügen) sowie des Gedichts „Aus hohen Bergen.
Nachgesang“. Der Aphorismus Nietzschescher Prägung kann verstören, weil er
nichts gültig und letztlich erklärt (vgl. z. B. Strong 1975, 132-134), obwohl er
durchaus partiell argumentativ verfährt. „For it is one of the most striking fea-
tures of reading Nietzsche [...] that he is both very striking and strangely unme-
morable. [...] Since aphorisms are related non-linearly, one can’t retrace them,
as one can an argument, by recalling the Steps in it. And if the effect is, as so
offen, one of dazzlement, that’s all the more likely to lead to forgetfulness.“
(Tanner 1986, 200) Sollte der Erinnerungseffekt von Aphorismen tatsächlich so
gering sein, dann wäre es, ließe sich Tanners Überlegung weiterführen, nicht
erstaunlich, dass man N. meinte auf Lehren festlegen zu müssen - und zwar
gerade in JGB —, um seiner habhaft zu werden. Könnte N. auf die thematische
Gruppierung und die Durchbrechung der aphoristischen Isolation verfallen