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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0050
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30 Jenseits von Gut und Böse

6 Zur Wirkungsgeschichte
(Ein erster Entwurf zur frühesten Wirkungsgeschichte von JGB stammt von Sö-
ren Stiegler. Dieser Text wurde hier eingearbeitet. Herrn Stiegler danke ich sehr
für seine Vorarbeit.)
Die großzügige Verteilung von Freiexemplaren sollte nach N.s Kalkül für
eine möglichst breite Wirkung seines neuen Werkes sorgen. So hielten unmit-
telbar nach Erscheinen nicht nur N.s Freunde, Bekannte und Zeitungsredak-
teure JGB in Händen, sondern auch Größen des Kulturbetriebs. Dem Dichter
Conrad Ferdinand Meyer erschien es als ein „ geistreiche [s] Büchlein“ (Brief an
Francois Wille, 12.12.1888), und sein Autor galt ihm als „höchst unterhaltend“
(Brief vom 30.11.1887, beide Briefe zitiert nach Kr 1,126, Fn. 146), während der
Komponist Johannes Brahms in einem Brief vom 23. 09.1886 an Josef Viktor
Widmann skeptisch bekundete: „Auf den Nietzsche habe ich freilich gleich ein
italienisches Novellenbuch gelegt, damit ich mir’s doch zweimal überlege, ob
ich unter blauem oder grauem Himmel spazieren will!“ (Zitiert nach Kr I, 126,
Fn. 146.) In N.s näherem Bekanntenkreis reagierte man teils mit irritierter Ab-
lehnung, teils mit offenem Unverständnis. Mit „großem Unmuthe“ las Erwin
Rohde das Werk seines Freundes, in dem er „Discurse eines Übersättigten“ zu
erkennen wähnte (Rohde an Overbeck, 01. 09.1886, Overbeck/Rohde 1990,
108) . Der philosophische Wert des Werkes sei „dürftig und fast kindisch“, wäh-
rend sich „das Politische“ „albern und weltunkundig“ darstelle. Rohde kriti-
siert die Unstetigkeit und Sprunghaftigkeit der Ausführungen, die als „Einsied-
lervisionen und Gedankenseifenblasen“ Ernsthaftigkeit und Relevanz vermis-
sen ließen: „es kommt ja wirklich nichts dabei heraus; alles rinnt Einem wie
Sand durch die Finger“ (ebd.). Ferner tadelt er N.s „gigantische Eitelkeit“ (ebd.,
109) , und das „Herumtasten an allerlei Dingen, das passive Ueberfressensein
mit Eindrücken und Einfällen“ habe letztlich „gar keinen“ Wert (ebd.). Over-
becks Antwort vom 23. 09.1886 versucht zu beschwichtigen: „Gebe ich Ihnen
auch mindestens die Hälfte dessen, was Sie dem und der Person des Verfassers
überhaupt vorwerfen, zu und vor, so meine ich doch, Sie reden im Zorn. Diesen
Zorn freilich vermag ich nur sehr unvollständig mitzuempfinden, und wo er
Ihnen besonders heftig schwellen mag, etwa nicht im Geringsten. [...] Ueber-
mässig verletzend ist nach meinem Gefühl manches im Buche, vielfach wahr
z. B., bisweilen fragwürdig, durchgängig fast giftgeschwollen aber, was darin
über Frauen gesagt wird. Sie sehen, ich möchte, wie keines Dinges, so auch
nicht und, ich gestehe es, ganz besonders nicht, dieses Buches Apologet sein,
dennoch lese ich in der Literatur des Tages kaum ein anderes mit solchem
geistigen Vergnügen [...]. Bei allem, wie es mir nach dem neuesten Buche fast
scheint, zunehmenden Dilettantismus, führen N’s Bücher den Gelehrten oder
 
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