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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0075
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Stellenkommentar JGB Vorrede, KSA 5, S. 11-12 55

tik-Gebundenheit der Ich-Ontologie herausgreift: „Ehemals nämlich glaubte
man an ,die Seele4, wie man an die Grammatik und das grammatische Subjekt
glaubte“ (KSA 5, 73, 13-15, vgl. NL 1885, KSA 11, 40[16], 635 f., entspricht KGW
IX 4, W I 7, 71). Einen derart prominenten Status erlangte die Grammatik in N.s
Denken - von der Frühschrift WL abgesehen - explizit erst 1885. Das schlug
sich in einer Reihe von Nachlasstexten nieder, die die sprachliche Bedingtheit
des Ich-Begriffs ebenso herausstellen wie den allgemein fiktiven Charakter al-
ler grammatisch angeleiteten Erkenntnis-Konstrukte (NL 1885, KSA 11, 35[35]
526 (entspricht KGW IX 4, W I 3, 108f.); NL 1885, KSA 11, 38[3], 597f. u. NL
1885, KSA 11, 40[23], 639 f. (entspricht KGW IX 4, W I 7, 67), vgl. NK 31, 5-12).
„Wie arm sind die Philosophen bisher, wo ihnen nicht die Sprache, mindestens
die Grammatik, im Ganzen das, was ,Volk‘ in ihnen ist, soufflirt! In den Worten
stecken Wahrheiten, mindestens Ahnungen der Wahrheit: das glauben sie alle
steif und fest: daher die Zähigkeit, mit der sie sich an ,Subjekt4 ,Leib4 ,Seele4
,Geist4 klammern.“ (NL 1885, KSA 11, 40[6], 630, 26-631, 3 (entspricht KGW IX
4, W I 7, 74); vgl. NL 1885, KSA 11, 40[ll], 632f. (entspricht KGW IX 4, W I 7,
75) u. NL 1885, KSA 11, 40[20], 637f. (entspricht KGW IX 4, W I 7, 68f.)).
Die Aufzählung der möglichen Grundsteine der „Philosophen-Bauwerke“
schließt „eine verwegene Verallgemeinerung von sehr engen, sehr persönli-
chen, sehr menschlich-allzumenschlichen Thatsachen“ (12,1-3) ein. In der Fas-
sung Dns Mp XVI, Bl. 27r und Dns Mp XVI, BL 42r heißt es stattdessen: „eine
brutale Verallgemeinerung von sehr engen, sehr persönlichen Thatsachen“
(Röllin 2012, 204 u. 217). Die Einfügung des Epithetons „menschlich-allzu-
menschlich“ dient einerseits dem Rückverweis auf N.s einschlägig betiteltes
Werk, lässt andererseits völlig offen, um welche Art von Tatsachen es sich han-
deln könnte.
Dass die Sprache und die Grammatik die Wirklichkeitswahrnehmung prä-
gen, ist eine im 20. Jahrhundert (oft ohne Bezug auf N.) von Linguisten gern
wiederholte These, vgl. z. B. Whorf 1956, 121 und dazu Feyerabend 1993, 164.
12, 3-9 Die Philosophie der Dogmatiker war hoffentlich nur ein Versprechen
über Jahrtausende hinweg: wie es in noch früherer Zeit die Astrologie war, für
deren Dienst vielleicht mehr Arbeit, Geld, Scharfsinn, Geduld aufgewendet wor-
den ist, als bisher für irgend eine wirkliche Wissenschaft: — man verdankt ihr
und ihren „überirdischen“ Ansprüchen in Asien und Ägypten den grossen Stil der
Baukunst.] Vorlage hierfür war N.s Diktat an Louise Röder-Wiederhold in Dns
Mp XVI, BL 27r, ediert bei Röllin 2012, 204, sowie in Dns Mp XVI, BL 42r, ediert
bei Röllin 2012, 217. Welche Rolle der Astrologie in der Entwicklungsgeschichte
der Menschheit gebührt, ist eine Frage, die N. im Zuge seiner kulturhistori-
schen Lektüren gelegentlich beschäftigt hat. John Lubbock führte beispielswei-
se in seiner Entstehung der Civilisation aus, dass die Astronomie zwar der Astro-
 
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