Stellenkommentar JGB Vorrede, KSA 5, S. 12 57
schein-/216/bar wunderlichen Erscheinungen der menschlichen Handlungen
in das Bereich des Gesetzes zurückzuführen suchte. Man kann sie aber, glaube
ich, mit nicht minderem Rechte als eine der letzten Kämpfe menschlicher
Selbstsucht gegen das niederdrückende Gefühl der Unbedeutenheit betrach-
ten, welches die Unermesslichkeit des Weltalls erzeugen musste. [...] Die, wel-
che unsere Erde für den Mittelpunkt des materiellen Universums betrachten,
werden ihr immer eine ähnliche Stellung in dem sittlichen Weltplane zuschrei-
ben; ist nun die Falschheit der ersten Behauptung nachgewiesen, so erscheint
die zweite unangemessen oder als Schwierigkeit.“ (Lecky 1873, 1, 215 f. Von N.
mit Randstrichen und NBs markiert, seine Unterstreichungen.) Ganz auf dieser
Linie notierte N. dann in NL 1880, KSA 9, 6[189], 245, 16-25 - und präludierte
damit bereits die Parallelisierung von herkömmlicher Philosophie und Astrolo-
gie in der Vorrede von JGB „Ein Reich ganz unmenschlicher Necessitäten
enthüllt sich immer mehr! [...] Die Welt als eine Menschen-Welt ist uns ein
Gelächter geworden: wie die Astrologie. Unsere Stellung zu dieser Welt mög-
lichst pathetisch einzunehmen war das Bestreben aller Philosophen: die Idea-
listen zuletzt wußten uns zur Hauptsache zu machen und die Welt zu einer Art
Erzeugniß von uns: als ob der Spiegel sagte: ,ohne mich ist nichts, ich bin der
Urheber4.“
Die Parallelität von dogmatischer Philosophie und Astrologie besteht nach
12, 3-9 zunächst in ihrem Wesenszug, ein „Versprechen“ zu sein. Und zwar
stellen sie beide ein ganz bestimmtes Versprechen dar: dass die Welt insgesamt
sinnvoll organisiert ist, dass sich diese Welt um den Menschen dreht und dass
dieser Mensch in der Welt von Bedeutung ist. Der Anspruch sowohl der Astro-
logie als auch der dogmatischen Philosophie erscheint bei N. in gleicher Weise
als „überirdisch“, weil sie beide auf ein Wissen ausgreifen, das jenseits aller
irdischen Erfahrungsmöglichkeiten liegt. Schließlich besteht die besondere
Bosheit dieser Parallelisierung der dogmatischen Philosophie mit der Astrolo-
gie darin, dass letztere in der modernen Welt als hoffnungslos veraltete Schar-
latanerie angesehen wird. Die Parallelisierung soll zeigen, dass dies konse-
quenterweise auch von der herkömmlichen Philosophie gelten müsste, sind
deren Erkenntnisansprüche doch nicht minder absurd als die astrologischen.
Zur Astrologie siehe auch NK 51, 22-25 u. NK 109, 20-25.
12,12-14 eine solche Fratze war die dogmatische Philosophie, zum Beispiel die
Vedanta-Lehre in Asien] In der diktierten Fassung Dns Mp XVI, Bl. 42r fehlte
dieser Hinweis auf den Vedanta noch (Röllin 2012, 217). Über den indischen
Vedanta als höheres Wissen des eingeweihten Hindu hatte sich N. im Standard-
werk Das System des Vedanta nach den Brahma-sütra’s (1883) seines Freundes
Paul Deussen kundig gemacht; die ausdrückliche Zuordnung des Vedanta zur
dogmatischen Philosophie findet sich hingegen im Werk eines anderen Freun-
schein-/216/bar wunderlichen Erscheinungen der menschlichen Handlungen
in das Bereich des Gesetzes zurückzuführen suchte. Man kann sie aber, glaube
ich, mit nicht minderem Rechte als eine der letzten Kämpfe menschlicher
Selbstsucht gegen das niederdrückende Gefühl der Unbedeutenheit betrach-
ten, welches die Unermesslichkeit des Weltalls erzeugen musste. [...] Die, wel-
che unsere Erde für den Mittelpunkt des materiellen Universums betrachten,
werden ihr immer eine ähnliche Stellung in dem sittlichen Weltplane zuschrei-
ben; ist nun die Falschheit der ersten Behauptung nachgewiesen, so erscheint
die zweite unangemessen oder als Schwierigkeit.“ (Lecky 1873, 1, 215 f. Von N.
mit Randstrichen und NBs markiert, seine Unterstreichungen.) Ganz auf dieser
Linie notierte N. dann in NL 1880, KSA 9, 6[189], 245, 16-25 - und präludierte
damit bereits die Parallelisierung von herkömmlicher Philosophie und Astrolo-
gie in der Vorrede von JGB „Ein Reich ganz unmenschlicher Necessitäten
enthüllt sich immer mehr! [...] Die Welt als eine Menschen-Welt ist uns ein
Gelächter geworden: wie die Astrologie. Unsere Stellung zu dieser Welt mög-
lichst pathetisch einzunehmen war das Bestreben aller Philosophen: die Idea-
listen zuletzt wußten uns zur Hauptsache zu machen und die Welt zu einer Art
Erzeugniß von uns: als ob der Spiegel sagte: ,ohne mich ist nichts, ich bin der
Urheber4.“
Die Parallelität von dogmatischer Philosophie und Astrologie besteht nach
12, 3-9 zunächst in ihrem Wesenszug, ein „Versprechen“ zu sein. Und zwar
stellen sie beide ein ganz bestimmtes Versprechen dar: dass die Welt insgesamt
sinnvoll organisiert ist, dass sich diese Welt um den Menschen dreht und dass
dieser Mensch in der Welt von Bedeutung ist. Der Anspruch sowohl der Astro-
logie als auch der dogmatischen Philosophie erscheint bei N. in gleicher Weise
als „überirdisch“, weil sie beide auf ein Wissen ausgreifen, das jenseits aller
irdischen Erfahrungsmöglichkeiten liegt. Schließlich besteht die besondere
Bosheit dieser Parallelisierung der dogmatischen Philosophie mit der Astrolo-
gie darin, dass letztere in der modernen Welt als hoffnungslos veraltete Schar-
latanerie angesehen wird. Die Parallelisierung soll zeigen, dass dies konse-
quenterweise auch von der herkömmlichen Philosophie gelten müsste, sind
deren Erkenntnisansprüche doch nicht minder absurd als die astrologischen.
Zur Astrologie siehe auch NK 51, 22-25 u. NK 109, 20-25.
12,12-14 eine solche Fratze war die dogmatische Philosophie, zum Beispiel die
Vedanta-Lehre in Asien] In der diktierten Fassung Dns Mp XVI, Bl. 42r fehlte
dieser Hinweis auf den Vedanta noch (Röllin 2012, 217). Über den indischen
Vedanta als höheres Wissen des eingeweihten Hindu hatte sich N. im Standard-
werk Das System des Vedanta nach den Brahma-sütra’s (1883) seines Freundes
Paul Deussen kundig gemacht; die ausdrückliche Zuordnung des Vedanta zur
dogmatischen Philosophie findet sich hingegen im Werk eines anderen Freun-