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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0078
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58 Jenseits von Gut und Böse

des, nämlich in Heinrich Romundts von N. ebenfalls eifrig studierter Grundle-
gung zur Reform der Philosophie: „Von dem der gemeinen Seelenlehre zu Grun-
de liegenden Schein der Vernunft, der auf diesen Selbstbetrug gegründeten
Scheinwissenschaft wie von der Zerstörung des Scheines für die Wissenschaft
und von der Verbesserung der Seelenlehre als gemeiner Naturwissenschaft,
Naturphilosophie und Metaphysik wurde mit einiger Ausführlichkeit gehan-
delt. Diese Ausführlichkeit aber ist Kürze gegen die Weitläufigkeiten einer un-
kritischen schwärmenden Metaphysik. Ruht doch das weit ausgedehnte grosse
System des Vedanta, die uralte Dogmatik des Brahmanismus, welche noch jetzt
in Indien im höchsten Ansehen steht, mit der man aber das Abendland gnädig
verschonen wolle, auf dem von der Kritik zerstörten Paralogismus. Der neueste
Darsteller desselben, P. Deussen, sagt ,das System des Vedanta. /169/ 1883‘
S. 61: ,Mit Recht erkennt der Vedanta als einzige Quelle, um zu einem wahren
Wissen, zu einem Ergreifen des Ansichseienden zu gelangen, unser eigenes
Ich? [...] Und mit welchem Drucke hat der Babelbau dieser Scheinwissenschaft
Jahrtausende auf der Menschheit gelastet und die gemeine Wohlfahrt geschä-
digt!“ (Romundt 1885, 168 f. Wichtige Informationen zu Romundt bei Treiber
1992, 358-362.) Der Seitenhieb auf die philosophische Indien-Sehnsucht Arthur
Schopenhauers ist ebenso deutlich wie die verheerende kulturelle Gesamtbi-
lanz, die Romundt der Vedanta-Philosophie ausstellt. JGB Vorrede dupliziert
diese negative Bilanz, auch wenn dann gegen Ende der Vorrede die geschichtli-
che Notwendigkeit der durch philosophische Dogmatik erzeugten Spannung
herausgestellt wird.
Aufschlussreich ist auch, dass 12,12-14 im Unterschied zu Dns Mp XVI, Bl.
42r den Vedanta als exemplarische dogmatische Philosophie nennt, nachdem
seit 11, 21 f. der „Seelen-“, „Subjekt- und Ich-Aberglaube“ aufs Korn genommen
wurde, so dass der Leser zu der Vermutung gelangt, der Vedanta huldige gera-
de diesem Aberglauben. Das ist tatsächlich die Behauptung bei Romundt 1885,
168 f., während JGB 54 wie auch NL 1885, KSA 11, 40[16], 636, 6-9 (entspricht
KGW IX 4, W I 7, 71, 14-17) den Nachweis der Scheinbarkeit von „Seele“ und
„Subjekt“ gerade als einen Grundgedanken des Vedanta ausweist, vgl. NK 73,
22-28. Es liegt also nahe, die Erwähnung des Vedanta in der Vorrede von JGB
auf der Folie der Lektüre von Romundt 1885 zu sehen, dessen Inanspruchnah-
me des Vedanta für eine positive Subjekt-Metaphysik zumindest nicht weit ver-
breitet war und trotz der Zitate sogar den Grundintentionen bei Deussen 1883
widerspricht, während für JGB 54 andere Quellen zu diskutieren sind.
12,14 der Platonismus] Auch diese Konkretisierung der „Fratze“ der „dogmati-
schen Philosophie“ fehlt - wie der Vedanta - im Diktat Dns Mp XVI, BL 42r
(Röllin 2012, 217), wo aber in der Folge Platon wie in der Vorrede von JGB sehr
wohl diskutiert wird. Neben dem Vedanta (vgl. NK 12, 12-14) ist in Romundts
 
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