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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0142
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122 Jenseits von Gut und Böse

fessor, zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe
es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um seinetwegen
die Schaffung der Welt zu unterlassen“ (KSB 8/KGB III/5, Nr. 1256, S. 577 f., Z.
2-5).

10.
22, 30-23, 3 Der Eifer und die Feinheit, ich möchte sogar sagen: Schlauheit, mit
denen man heute überall in Europa dem Probleme „von der wirklichen und der
scheinbaren Welt“ auf den Leib rückt, giebt zu denken und zu horchen; und wer
hier im Hintergründe nur einen „Willen zur Wahrheit“ und nichts weiter hört,
erfreut sich gewiss nicht der schärfsten Ohren.] Obwohl die Anführungszeichen
für philosophisch gebildete Leser zu N.s Zeit die Anspielung auf das Werk von
Gustav Teichmüller: Die wirkliche und die scheinbare Welt. Neue Grundlegung
der Metaphysik (1882) unübersehbar machten, hebt der Eingangssatz von
JGB 10 hervor, dass die Frage nach der scheinbaren und wirklichen Welt das
philosophische Geschäft weithin - „überall in Europa“ - bestimme. GD Wie
die „wahre Welt“ endlich zur Fabel wurde, KSA 6, 80 f. sollte später schildern,
wie dieser falsche Gegensatz einer wahren und scheinbaren Welt schließlich -
durch N. - überwunden wird. Der „Wille zur Wahrheit“ wird zu Beginn von
JGB 10 wie in JGB 1 (vgl. NK 15, 4) als unwahrscheinliche, wenngleich nicht als
unmögliche Motivationsgrundlage dieses philosophischen Bemühens um eine
Lösung des „Problems“ beiseitegeschoben. Sogleich folgt aber die Erörterung
,,einzelne[r] und seltene[r] Fälle[.]“ (23, 3 f.), wo dieser „Wille zur Wahrheit“
doch die Triebkraft ist, was wiederum als Symptom von „Nihilismus“ (23, 11)
gedeutet wird.
23, 5f. ein Metaphysiker-Ehrgeiz des verlornen Postens] N. variiert hier eine
Wendung aus MA II VM 312: „Es giebt einen Ehrgeiz des verlornen Postens,
welcher eine Partei dahin drängt, sich in eine äusserste Gefahr zu begeben.“
(KSA 2, 506, 4-6) Die militärische Metapher des Stehens auf verlorenem Posten
für das Führen eines aussichtslosen Kampfes ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts
auch lexikalisch vielfach nachzuweisen (vgl. zur Geschichte des Idioms unter
Einschluss N.s ausführlich Bluhm 2012); zu N.s Zeit ist sie bereits in den All-
tagssprachgebrauch eingedrungen (vgl. Carl Fuchs an N., 05.10.1873, KGB II/
4, Nr. 461, S. 298, Z. 28 f.: „daß ich mich hier wie auf einen verlorenen Posten
gestellt empfinde“). Bei N. kommt sie allerdings nur an den zwei zitierten Stel-
len in JGB 10 und MA II VM 312 vor, und zwar jeweils in dieser davor nicht
belegbaren Kombination mit dem Ehrgeiz. Entgegen der von Bluhm 2012 doku-
mentierten Konjunktur des „verlorenen Postens“ in rechtskonservativen und
 
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