224 Jenseits von Gut und Böse
tant eines Märtyrers, der gleichzeitig Christ und Philosoph war, stand N. in
seinen damaligen Lektüren - Moritz von Engelhardts Monographie Das Chris-
tenthum Justins des Märtyrers - der frühchristliche Philosoph Justinus vor Au-
gen, der in der Tradition „Justinus Martyr et Philosophus“ heißt (vgl. Engel-
hardt 1878, 2).
In den 1880er Jahren verliert sich die Spur einer positiven Beurteilung des
philosophischen Martyriums bei N. Offenbar soll Philosophie jetzt nicht mehr
strukturanalog zum Christentum gedacht werden. Denn: „Blut ist der schlech-
teste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste Lehre noch zu Wahn und
Hass der Herzen“ (Za II Von den Priestern, KSA 4, 119, 15 f., vgl. auch NK KSA
6, 235, 24-33), was N. allerdings nicht in Stand setzte, seine eigene Präferenz
fürs Blutige ganz zu unterdrücken, als er seinen Zarathustra sagen ließ: „Von
allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt.“
(Za Vom Lesen und Schreiben, KSA 4, 48, 2f.). Vgl. z. B. Jaspers 1981, 195 f.
Immerhin hat N. bei Dühring 1882, 46 die Stelle am Rand markiert, Sokrates
habe „durch sein Martyrium seine reformatorische Sache“ bekräftigt.
42, 9f. „um der Wahrheit willen“] Die in ironische oder zitatanzeigende Anfüh-
rungszeichen gesetzte Wendung benutzt N. gelegentlich, mitunter sogar ohne
hörbaren ironischen Beiklang (MA I 636, KSA 2, 362, 2 u. NL 1882/83, KSA 10,
5[1]162, 205, 12), gerade wenn es um die Entbehrungen geht, die ein geistig
Tätiger auf sich zu nehmen bereit ist („Was ist das Schwerste, ihr Helden?, so
fragt der tragsame Geist [...], sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nähren
und um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden?“ Za I Von den drei
Verwandlungen, KSA 4, 29, 11 u. 19 f.). Nur NL 1881, KSA 9, 11[66], 466, 28-
30 gibt sich unverhohlen ablehnend: „,Die Wahrheit um der Wahrheit willen4
suchen — oberflächlich! Wir wollen nicht betrogen werden, es beleidigt unse-
ren Stolz.“ Die Wendung selbst hat biblischen Ursprung; in Luthers Überset-
zung des 2. Johannesbriefes 1-2 steht: „alle, die die Wahrheit erkannt haben,
um der Wahrheit willen, die in uns bleiben, und bey uns seyn wird in Ewig-
keit“ (Die Bibel: Neues Testament 1818, 271).
42,18 Ritter von der traurigsten Gestalt] Sancho Panza gab in Miguel de Cer-
vantes’ Roman El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha (1605/15) seinem
Herrn Don Quijote den Beinamen „caballero de la triste figura“ (3. Buch, 5. Ka-
pitel), den dieser sich gerne zueigen machte. Ludwig Tieck übersetzte die Wen-
dung in seiner lange maßgeblichen Übersetzung als „Ritter von der traurigen
Gestalt“ (Cervantes 1872,1,102 f.), was bei N. noch durch den Superlativ gestei-
gert wird. Ob N. den Roman ganz gelesen hat, sei dahingestellt. Jedenfalls
kommt er gelegentlich auf ihn und seinen Autor zu sprechen, beispielsweise
in NL 1880, KSA 9, 5[16], 184, 12-14: „Kampf nicht gegen die Dummheiten,
tant eines Märtyrers, der gleichzeitig Christ und Philosoph war, stand N. in
seinen damaligen Lektüren - Moritz von Engelhardts Monographie Das Chris-
tenthum Justins des Märtyrers - der frühchristliche Philosoph Justinus vor Au-
gen, der in der Tradition „Justinus Martyr et Philosophus“ heißt (vgl. Engel-
hardt 1878, 2).
In den 1880er Jahren verliert sich die Spur einer positiven Beurteilung des
philosophischen Martyriums bei N. Offenbar soll Philosophie jetzt nicht mehr
strukturanalog zum Christentum gedacht werden. Denn: „Blut ist der schlech-
teste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste Lehre noch zu Wahn und
Hass der Herzen“ (Za II Von den Priestern, KSA 4, 119, 15 f., vgl. auch NK KSA
6, 235, 24-33), was N. allerdings nicht in Stand setzte, seine eigene Präferenz
fürs Blutige ganz zu unterdrücken, als er seinen Zarathustra sagen ließ: „Von
allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt.“
(Za Vom Lesen und Schreiben, KSA 4, 48, 2f.). Vgl. z. B. Jaspers 1981, 195 f.
Immerhin hat N. bei Dühring 1882, 46 die Stelle am Rand markiert, Sokrates
habe „durch sein Martyrium seine reformatorische Sache“ bekräftigt.
42, 9f. „um der Wahrheit willen“] Die in ironische oder zitatanzeigende Anfüh-
rungszeichen gesetzte Wendung benutzt N. gelegentlich, mitunter sogar ohne
hörbaren ironischen Beiklang (MA I 636, KSA 2, 362, 2 u. NL 1882/83, KSA 10,
5[1]162, 205, 12), gerade wenn es um die Entbehrungen geht, die ein geistig
Tätiger auf sich zu nehmen bereit ist („Was ist das Schwerste, ihr Helden?, so
fragt der tragsame Geist [...], sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nähren
und um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden?“ Za I Von den drei
Verwandlungen, KSA 4, 29, 11 u. 19 f.). Nur NL 1881, KSA 9, 11[66], 466, 28-
30 gibt sich unverhohlen ablehnend: „,Die Wahrheit um der Wahrheit willen4
suchen — oberflächlich! Wir wollen nicht betrogen werden, es beleidigt unse-
ren Stolz.“ Die Wendung selbst hat biblischen Ursprung; in Luthers Überset-
zung des 2. Johannesbriefes 1-2 steht: „alle, die die Wahrheit erkannt haben,
um der Wahrheit willen, die in uns bleiben, und bey uns seyn wird in Ewig-
keit“ (Die Bibel: Neues Testament 1818, 271).
42,18 Ritter von der traurigsten Gestalt] Sancho Panza gab in Miguel de Cer-
vantes’ Roman El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha (1605/15) seinem
Herrn Don Quijote den Beinamen „caballero de la triste figura“ (3. Buch, 5. Ka-
pitel), den dieser sich gerne zueigen machte. Ludwig Tieck übersetzte die Wen-
dung in seiner lange maßgeblichen Übersetzung als „Ritter von der traurigen
Gestalt“ (Cervantes 1872,1,102 f.), was bei N. noch durch den Superlativ gestei-
gert wird. Ob N. den Roman ganz gelesen hat, sei dahingestellt. Jedenfalls
kommt er gelegentlich auf ihn und seinen Autor zu sprechen, beispielsweise
in NL 1880, KSA 9, 5[16], 184, 12-14: „Kampf nicht gegen die Dummheiten,