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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0245
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Stellenkommentar JGB 25, KSA 5, S. 42 225

sondern gegen die Einbildungen: Beseitigung der eingebildeten Dinge aus den
Köpfen: Don Quixote Cervantes“.
42,19 Eckensteher] N.s Vorliebe für das Wort „Eckensteher“ (vgl. JGB 204, KSA
5, 130, 9 u. JGB 262, KSA 5, 216, 32) hängt wahrscheinlich damit zusammen,
dass Richard Wagner den Ausdruck in seinem offenen Brief an N. vom
12. 06.1872 zur Verteidigung von GT gegen die Attacke von Ulrich von Wilamo-
witz-Moellendorff prominent benutzt hat (Wagner 1871-1873, 9, 355 = Wagner
1907, 9, 299), siehe NK KSA 6, 87, 1 (ferner die Belege in NWB 1, 683-688).
42,19-26 Zuletzt wisst ihr gut genug, dass nichts daran liegen darf, ob gerade
ihr Recht behaltet, ebenfalls dass bisher noch kein Philosoph Recht behalten
hat, und dass eine preiswürdigere Wahrhaftigkeit in jedem kleinen Fragezeichen
liegen dürfte, welches ihr hinter eure Leibworte und Lieblingslehren (und gele-
gentlich hinter euch selbst) setzt, als in allen feierlichen Gebärden und Trümpfen
vor Anklägern und Gerichtshöfen!] Der in JGB vorherrschende, vorbehaltvolle,
oft durch Schweigen beredte Umgang mit den sogenannten Lehren Zarathus-
tras lässt sich als Selbstapplikation dieser den Philosophen-Kollegen nahege-
legten Empfehlung verstehen. Das Fragezeichen ist bei der Thematisierung die-
ser ,Lehren4 in JGB das auffälligste Satzzeichen - wobei gerade die Frageform
dazu dienen könnte, eine bestimmte ,Lehre4 dem Leser auf vermeintlich undog-
matische Weise genehm zu machen. 42,19-26 nimmt die Metaphorik vom „Ge-
richtshof der Vernunft“ auf, vor den die Philosophen seit Kant explizit zu zie-
hen pflegten (vgl. z. B. Kritik der reinen Vernunft A 751 = B 779), um dort für
ihre Theorien Recht zu bekommen. Wenn JGB 25 diese Juridifizierung des phi-
losophischen Diskurses und des philosophischen Selbstverständnisses ironi-
siert, hinderte dies N. zwei Jahre später nicht, der Kritik des Christentums die
Züge eines Schauprozesses zu verleihen (vgl. Sommer 2001).
42, 26-43, 2 Geht lieber bei Seite! Flieht in’s Verborgene! Und habt eure Maske
und Feinheit, dass man euch verwechsele! Oder ein Wenig fürchte! Und vergesst
mir den Garten nicht, den Garten mit goldenem Gitterwerk! Und habt Menschen
um euch, die wie ein Garten sind, — oder wie Musik über Wassern, zur Zeit des
Abends, wo der Tag schon zur Erinnerung wird: — wählt die gute Einsamkeit,
die freie muthwillige leichte Einsamkeit, welche euch auch ein Recht giebt, selbst
in irgend einem Sinne noch gut zu bleiben!] Diese Passage zehrt von Versatzstü-
cken Epikurs, der sich bekanntlich (nach Plutarch: De latenter vivendo) unter
den Leitspruch „Ad0c ßiwoaq“, „lebe im Verborgenen!“ gestellt und mit seinen
Getreuen in den Garten zurückgezogen haben soll (Diogenes Laertius: De vitis
X 10, vgl. auch Lehmann 1879, 24: „Leb’ für dich! / Dienst hat Müh’ auf sich.“).
JGB 7 hat sich explizit auf Epikur und auch seine kluge „Gärtchen-Verborgen-
heit“ bezogen (vgl. NK 21,12-17). Eine emphatische Aufforderung zur Adaption
 
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