226 Jenseits von Gut und Böse
von Epikurs lebenspraktischen Anweisungen wird dort allerdings nicht formu-
liert, wie überhaupt Epikur bei N. sehr zwiespältig beurteilt wird (vgl. z. B. NK
KSA 6, 201,12-18), fehlte dem hellenistischen Philosophen doch scheinbar der
Antrieb zu philosophischer Tat und mutiger Gesetzgeberschaft, die sich Spre-
chende in N.-Texten immer wieder selbst attestieren. Das Motiv der Einsamkeit
(vgl. NK 232, 1-6) ist keineswegs für Epikur reserviert, sondern machte schon
für den jungen N. ein Hauptcharakteristikum der für ihn maßgeblichen Philo-
sophen wie Schopenhauer und Heraklit aus.
Zum „goldenen Gitterwerk“ siehe NK 43, 29-31; zu N.s Zeilen „wie Musik
über Wassern, zur Zeit des Abends, wo der Tag schon zur Erinnerung wird“
notierte Karl Jaspers, wohl im Blick auf N.s bekanntes Gedicht An der Brücke
stand jüngst ich in brauner Nacht, am Rand: „Venedig“ (Jaspers 1923, 43).
43, 4-12 Wie persönlich macht eine lange Furcht, ein langes Augenmerk auf
Feinde, auf mögliche Feinde! Diese Ausgestossenen der Gesellschaft, diese Lang-
Verfolgten, Schlimm-Gehetzten, — auch die Zwangs-Einsiedler, die Spinoza’s
oder Giordano Bruno’s — werden zuletzt immer, und sei es unter der geistigsten
Maskerade, und vielleicht ohne dass sie selbst es wissen, zu raffinirten Rachsüch-
tigen und Giftmischern (man grabe doch einmal den Grund der Ethik und Theolo-
gie Spinoza’s auf!)] Baruch de Spinoza ist in N.s Werken ein gelegentlicher, in
Nachlass und Briefen sogar ein recht häufiger Gast, dessen Nähe N. mitunter
so unbehaglich zu werden schien, dass er sich von ihm lautstark distanzieren
musste (vgl. z. B. NK 19, 20-22 u. Sommer 2012b), etwa indem er wie in JGB
25 Spinozas Substanzontologie psychologisierend von Ressentiment bestimmt
fand.
Giordano Bruno hingegen, der italienische Pantheist, der für seine philoso-
phischen Überzeugungen tatsächlich im Jahr 1600 das Martyrium auf dem
Scheiterhaufen der Inquisition auf sich zu nehmen bereit war, kommt in N.s
Werken nur an dieser Stelle vor. Es lässt sich nicht nachweisen, dass N. von
Bruno mehr gelesen hätte als die drei Gedichte, die ihm Heinrich von Stein in
seinem Brief vom 17. 05.1884 in eigener Übersetzung hatte zukommen lassen.
Die Gedichte in Steins Übersetzung lauten: „Wem dank ich’s, dass ich nun mit
freier Seele / Und schreckenlos den Flug des Lebens wage, / Die allgemeinen
Ketten nicht mehr trage - / Denn Seltne nur entliess die bange Höhle; / Ein
Demant-Beil erlahmt an diesem Hage / Der Endlichkeit - wie mocht’ ich mich
entraffen / Der Zeit und ihrem Ingesind und Waffen, / Dem Lauf der Alter,
Jahre, Stunden, Tage? / Nun wohl! Ich fürchte nicht, den sie erlogen, / Der
alten Mähr krystallnen Himmelsbogen, / Ich breche durch, mir ist der Weg
gebahnt, / So dass ich mich zu andern Erden hebe, / Endlos durch das Gefild
des Äthers schwebe, / Vorbei den Welten, die ich einst geahnt.“ (KGB III/2,
Nr. 232, S. 435, Z. 8-21) „Du Berg - es hält in ihren Grabes-Gründen / Dich tief
von Epikurs lebenspraktischen Anweisungen wird dort allerdings nicht formu-
liert, wie überhaupt Epikur bei N. sehr zwiespältig beurteilt wird (vgl. z. B. NK
KSA 6, 201,12-18), fehlte dem hellenistischen Philosophen doch scheinbar der
Antrieb zu philosophischer Tat und mutiger Gesetzgeberschaft, die sich Spre-
chende in N.-Texten immer wieder selbst attestieren. Das Motiv der Einsamkeit
(vgl. NK 232, 1-6) ist keineswegs für Epikur reserviert, sondern machte schon
für den jungen N. ein Hauptcharakteristikum der für ihn maßgeblichen Philo-
sophen wie Schopenhauer und Heraklit aus.
Zum „goldenen Gitterwerk“ siehe NK 43, 29-31; zu N.s Zeilen „wie Musik
über Wassern, zur Zeit des Abends, wo der Tag schon zur Erinnerung wird“
notierte Karl Jaspers, wohl im Blick auf N.s bekanntes Gedicht An der Brücke
stand jüngst ich in brauner Nacht, am Rand: „Venedig“ (Jaspers 1923, 43).
43, 4-12 Wie persönlich macht eine lange Furcht, ein langes Augenmerk auf
Feinde, auf mögliche Feinde! Diese Ausgestossenen der Gesellschaft, diese Lang-
Verfolgten, Schlimm-Gehetzten, — auch die Zwangs-Einsiedler, die Spinoza’s
oder Giordano Bruno’s — werden zuletzt immer, und sei es unter der geistigsten
Maskerade, und vielleicht ohne dass sie selbst es wissen, zu raffinirten Rachsüch-
tigen und Giftmischern (man grabe doch einmal den Grund der Ethik und Theolo-
gie Spinoza’s auf!)] Baruch de Spinoza ist in N.s Werken ein gelegentlicher, in
Nachlass und Briefen sogar ein recht häufiger Gast, dessen Nähe N. mitunter
so unbehaglich zu werden schien, dass er sich von ihm lautstark distanzieren
musste (vgl. z. B. NK 19, 20-22 u. Sommer 2012b), etwa indem er wie in JGB
25 Spinozas Substanzontologie psychologisierend von Ressentiment bestimmt
fand.
Giordano Bruno hingegen, der italienische Pantheist, der für seine philoso-
phischen Überzeugungen tatsächlich im Jahr 1600 das Martyrium auf dem
Scheiterhaufen der Inquisition auf sich zu nehmen bereit war, kommt in N.s
Werken nur an dieser Stelle vor. Es lässt sich nicht nachweisen, dass N. von
Bruno mehr gelesen hätte als die drei Gedichte, die ihm Heinrich von Stein in
seinem Brief vom 17. 05.1884 in eigener Übersetzung hatte zukommen lassen.
Die Gedichte in Steins Übersetzung lauten: „Wem dank ich’s, dass ich nun mit
freier Seele / Und schreckenlos den Flug des Lebens wage, / Die allgemeinen
Ketten nicht mehr trage - / Denn Seltne nur entliess die bange Höhle; / Ein
Demant-Beil erlahmt an diesem Hage / Der Endlichkeit - wie mocht’ ich mich
entraffen / Der Zeit und ihrem Ingesind und Waffen, / Dem Lauf der Alter,
Jahre, Stunden, Tage? / Nun wohl! Ich fürchte nicht, den sie erlogen, / Der
alten Mähr krystallnen Himmelsbogen, / Ich breche durch, mir ist der Weg
gebahnt, / So dass ich mich zu andern Erden hebe, / Endlos durch das Gefild
des Äthers schwebe, / Vorbei den Welten, die ich einst geahnt.“ (KGB III/2,
Nr. 232, S. 435, Z. 8-21) „Du Berg - es hält in ihren Grabes-Gründen / Dich tief