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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0248
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228 Jenseits von Gut und Böse

dass jede Philosophie im Entstehen eine lange Tragödie war] Vgl. NK 99, 10-12.
Das Satirische, das N. mit „Satyr“ zu assoziieren liebt, kehrt gleich in JGB 26
wieder.

26.
Im Heft W I 4 gibt es zu diesem Abschnitt eine ausführliche Vorarbeit: „Von
der Überwindung des Ekels. - Der höhere Mensch, der Ausnahme-
Mensch muß, wenn anders er zum Erkennenden im großen Sinne vorherbe-
stimmt ist, sich zum Studium der Regel, ich meine des durchschnittli-
chen Menschen herbeilassen: wobei es freilich nicht ohne einigen Ekel abge-
hen wird. Dieses Studium ist schwer und umständlich, weil der durchschnittli-
che Mansch} sich in Flausen und schöne Worte umhüllt; es ist also ein Fund
ersten Ranges, wenn der Suchende einem Solchen begegnet, der das Thier, die
Gemeinheit, oder Regel an sich einfach anerkennt und dabei jenen Grad von
Geistigkeit und Kitzel hat, der ihn zwingt über sich und seines Gleichen cy-
nisch zu reden und sich gleichsam auf dem eignen Miste zu wälzen: Cynismus
nämlich ist die einzige Form, in der gemeine Seelen an das streifen, was Ehr-
lichkeit Redlichkeit ist. Genug, dem höheren Menschen ist jede Form von gro-
bem Cynismus ein Gegenstand wo er zu lernen und seine Ohren aufzumachen
hat; ja er hat sich Glück zu wünschen, wenn der nicht ernsthafte Satyr und
der Possenreißer zu reden beginnen. Es giebt sogar Fälle, welche ihn beinahe
bezaubern werden: ein solcher Fall ist Petronius, insgleichen aus dem letzten
Jahrhundert der Abbe Galiani; da ist nämlich der ,Geist4, sogar das ,Genie4 an
den Affen geknüpft. Häufiger schon geschieht es daß der »wissenschaftliche}
Kopf4 auf einem Affenleib und ein Ausnahme-Verstand auf die Regel einer ge-
meinen Seele gesetzt ist: - unter Ärzten trifft man nicht selten diese Combinati-
on. Und wo nur Einer ohne Erbitterung, sondern harmlos vom Menschen redet
wie von einem Wesen das von Eitelkeit, geschlechtlichen Begierden und Nah-
rungssorgen und nichts Anderem getrieben wird, da soll der höhere Mensch
fleißig hinhorchen: kurz überall, wo der Cynismus ohne Empörung redet: -
denn der empörte Cynismus und wer immer sich selber oder ,die Welt4 oder
Gott oder die Gesellschaft mit seinen eignen Zähnen zerreißt und zerfleischt,
ist schon höherer und seltnerer Abkunft - als ein Thier, das an der Thierheit
leidet.44 (KSA 14, 350f.) In der Druckfassung von JGB 26 wird zunächst viel
stärker die problematische Abschottung des Ausnahmemenschen herausge-
stellt, bevor sich dieser in die Welt begibt, um dort studienhalber dem
„durchschnittlichen Menschen“ (44,14) zu begegnen - Studien, die jetzt
explizit als für den „Philosophen“ (44, 18) notwendig erachtet werden. „Cyni-
ker“ stehen nicht nur wie in der Vorarbeit für die „Redlichkeit“ „gemeiner See-
 
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