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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0279
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Stellenkommentar JGB 32, KSA 5, S. 51 259

gung, dass diese Maxime eben gerade nicht „gewusst, ,bewusst4 werden“
könnte. Woran man nun den „Werth oder de[n] Unwerth einer Handlung“ (50,
10 f.) messen soll, lässt der Ausgang von JGB 32 offen. Daran ändert auch die
Mahnung nichts, dass die „Absicht nur ein Zeichen und Symptom ist“, man
also irgendwie immer tiefer ins Ungewusste und Unbewusste graben muss, um
einen neuen Maßstab zu finden.
51, 14-16 der Verdacht sich regt, dass gerade in dem, was nicht-absicht-
lich an einer Handlung ist, ihr entscheidender Werth belegen sei] Dieser „Ver-
dacht“ spricht sich schon in NL 1883, KSA 10, 7[59], 261, 24-26 aus: „nicht
die Absicht, sondern gerade das Unabsichtliche daran macht den
Werth oder Unwerth einer Handlung aus.“
51, 22-25 dass Moral, im bisherigen Sinne, also Absichten-Moral ein Vorurtheil
gewesen ist, eine Voreiligkeit, eine Vorläufigkeit vielleicht, ein Ding etwa vom
Range der Astrologie und Alchymie] Über die Rolle der Astrologie in der Kultur-
geschichte hat N. bei seinen Lektüren verschiedentlich Auskünfte erhalten, sie-
he die Quellenbelege in NK12, 3-9 (ferner NK109, 20-25). Während die Vorrede
von JGB die Astrologie mit der alten dogmatischen Philosophie parallelisiert,
ist jetzt die Moral die Vergleichsgröße. Sodann wird - wie es in der damaligen
Literatur häufig geschah - die Alchemie als magisch-imaginäres Wirklichkeits-
veränderungsstreben der Astrologie beigesellt (vgl. z. B. Lange 1866, 81; unter
Bezug auf Kant Romundt 1885, 69; ferner Stein 1875, 3, 108). Allen vieren ist
gemeinsam, dass sie sich zugunsten eines radikalen Anthropozentrismus einer
unvoreingenommenen Sicht auf die Welt verweigern und sie einem Wunsch-
denken unterordnen, das das Weltgeschehen im Ganzen mit menschlichem
Tun aufs Engste verknüpft sieht. Die der Alchemie, Astrologie, Moral sowie der
herkömmlichen Philosophie zugrunde liegenden Konzepte gehen allesamt von
einer absichtsvollen, nach menschlichen Begriffen geordneten Welt aus. Der
Verweis auf Alchemie und Astrologie dient dementsprechend der Entlarvung
von Moral (und dogmatischer Philosophie), gelten die ersten beiden Diszipli-
nen unter Gebildeten im späten 19. Jahrhundert doch als hoffnungslos überholt
und unwissenschaftlich. Dasselbe Urteil soll nun die Moral treffen.
Angebahnt hat sich die Parallelisierung von Moral und Astrologie in kriti-
scher Absicht schon in NL 1880, KSA 9, 6[242], 261, 26: „Die »moralische Welt-
ordnung4 — eine Art Astrologie“ (vgl. auch NL 1884, KSA 11, 25[455], 134, 26-
28 u. NL 1884, KSA 11, 26[186], 199, 7-11). In NL 1880, KSA 9, 6[396], 299 nahm
N. implizit eine Feststellung von Friedrich Albert Lange auf, wonach die Spät-
antike zum Quietismus hingetrieben wäre (Lange 1866, 56), und verband sie
mit der Beobachtung, dass damals das Individuum eine starke Aufwertung er-
fahren hätte: „Es ist die Astrologie, auf Staaten, Naturereignisse, Umgang
 
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